Der Flug der Drohne

Was Gore-Videos angeht, bin ich mittlerweile schon ziemlich abgestumpft. (Wobei ich mir bewusst bin, dass das wahrscheinlich keine positive Entwicklung ist).

Nur bei mexikanischen Kartell-Videos muss ich manchmal passen. Diese elaborierte Grausamkeit und absolute Dehumanisierung in einem Land, in dem kein (offizieller) Krieg herrscht, ist nochmal auf einem anderen Level.

Man spricht von der »tierischen« Grausamkeit des Menschen. Aber das ist sehr ungerecht und für die Tiere wirklich beleidigend: Ein Tier kann niemals so grausam sein wie der Mensch, so ausgeklügelt, so kunstvoll grausam.“  Das lässt Fjodor Dostojweski seinen Protagonisten Iwan Karamasow sagen.

Was in der Ukraine passiert, ist aber ein Krieg. In Europa. Und im Gegensatz zu früher sieht man in HD, was in so einem Krieg vor sich geht. Das soll nichts rechtfertigen und man kann mich ruhig dafür verurteilen. Aber: it is what it is!

Man sieht übrigens kaum noch Videos von russischer Seite. Vielleicht gibt es die auf Telegram-Kanälen, die ich nicht kenne.

Die Video-editing-Skill der Kids heutzutage sind schon was Spezielles.

Ich kann mir nicht helfen, aber die Titel sind schon, naja, ich muss es sagen: witzig: „Drone assisted swimming course“, „Failing Reactive Meat Armour“, „Zedophile Tree Hugger Vaccinated against Putinism“, „Russian Space Program“, „Active cardio workout of the occupier with a fatal outcome. New episode“ aber auch: „Aesthetic Drone Gore“ oder „Relaxing Orc Barbecue“.

Manchmal gibt es auch längere Kommentare wie „Here’s this russian Nazi garbage who thought he’d go into Ukraine to commit genocide for a paycheck. He got a right spanking, Zigger disassembly & proper Denazification.“

Klar, auf diesen Seiten treiben sich – neben „Normalos“ – die internationalen gestörten Incel-Brigaden herum, die ihren Nihilismus zu einem Lebensgefühl erheben und sich in zynischen Kommentaren überbieten und das ganze jeweils mit Musik untermalen, wie gesagt, Metal, Techno oder auch „The End“ von The Doors.

Ich habe teilweise sogar echt gute Musik entdeckt wie das neue Album von Thurston Moore (Ex-Sonic Youth).

Die Ukrainer sind schon längst ein westliches Land, auch wenn sie noch nicht in der EU sind, sie kennen unsere Musik, unsere Kultur und memen sogar besser als wir Europäer oder Amerikaner. Der „Shooting Stars“-Video-Meme mit der Musik von den Bag Raiders sieht schon auf jeden Fall krasser aus, wenn es keine fette Frau ist, die auf die Fresse fällt, sondern ein russischer Soldat, der aus einem explodierenden Panzer geschleudert wird.

Die Russen hingegen sehen in ihrer armseligen Ausstattung wie die zurückgebliebenen Sklaven aus, die sie in Wirklichkeit sind.

Der Hass ist gigantisch und wird auch noch mehrere Generationen fortdauern, denke ich.

Die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Nationen und die Versöhnung konnten nur Beginnen, weil die Akteure des Dritten Reiches gestürzt und vollständig entmachtet waren und das Land jahrzehntelang besetzt war. Wer soll ein so ungeheuer großes Land wie Russland besetzen und es De-Putinisieren, De-Nazifizieren?

Trotz aller Abstumpfung und Gewöhnung fühle ich mit. Auch und sogar mit den Russen, die da so elendig verrecken. Das ist so übel, dass man das seinem schlimmsten Feind nicht wünscht, die abgerissenen Gliedmaßen, die Verbrennungen.

Selbst ohne direkten Treffer bohren sich Metallsplitter in das weiche menschliche Gewebe, zerfetzen Organe, Lunge, Herz.

Das konvulsivische Atmen im Sterbeprozess, das aussieht wie Schluchzen, ist schauderhaft anzusehen.

Ich frage mich außerdem, wie man in künftigen Konflikten, die zwangsläufig kommen werden, den Drohnen beikommen will. Es scheint kein Mittel gegen sie zu geben. Und ich sehe auch voraus, dass Terroristen diese billigen, einfach zu bedienenden Waffen einsetzen werden.

Das ist überhaupt das Schlimmste: die Drohne, die lauernd, wie ein bösartiges Insekt über einem schwebt. Die Todesangst, die man in so einem Augenblick empfinden muss, ist unvorstellbar.

Auf Twitter habe ich ein Video aus der Perspektive von Soldaten entdeckt, die sich in einem kleinen Hain verstecken, während die Drohne mit jaulendem Sirren über ihnen schwebt. Ein Alptraum.

ACHTUNG: DARSTELLUNG VON GEWALT UND TOD

via @TheDeadDistrict

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5 Responses to Der Flug der Drohne

  1. Als eher zartbesaiteter Kerl kann ich mir solche grausamen Videos natürlich nicht ansehen.

    Aber die Frage, wie Russland jemals (wieder?) ein irgendwie normales Land werden kann, stelle ich mir auch oft. Bei Deutschland bedurfte es ja nicht nur der Besatzung und des Regimewechsels, sondern auch der vollständigen Zerstörung des Landes, damit – anders als nach dem Ersten Weltkrieg – auch wirklich jeder Deutsche einsah, dass mit dem Größenwahn jetzt endlich mal Schluss sein müsse.

    Und die jungen Russen kennen ja nichts anderes als Putin und die ständige Indoktrination von eigener Überlegenheit, Bedrohung der Nation und Verkommenheit des Westens. Das ist eine kollektive Gehirnwäsche, die jetzt schon länger andauert als das „Dritte Reich“. Keine Ahnung, wie man das wieder aus den Köpfen bekommt. (In Deutschland war es nach dem Nationalsozialismus ja auch oft kein echtes Umdenken, sondern der Genuss von Marshall-Hilfe und Erleichterung darüber, dass mit Beginn des Kalten Krieges die Vergangenheit nicht mehr so wichtig erschien.)

    • Der Nationalsozialismus ist ja auch nicht vom Himmel gefallen. Das war eine längere Entwicklung aus dem autoritären Denken und dem Überlegenheitskomplex aus dem Kaiserreich, der Hass über einen imaginierten Verrat nach der Niederlage im 1. WK, der sich im Faschismus Bahn gebrochen hat.
      Ich denke schon, dass nach 1945 ein Umdenken stattgefunden hat, auch wenn das natürlich etwas gedauert hat. Der Punkt war, dass aus den USA ein begehrenswertes Lebensmodell angeboten wurde: von T-Shirts über Kaugummis, von Rock’n’Roll bis zu Marlon Brando und James Dean. Damit fällt es natürlich viel einfacher zu überzeugen, dass Demokratie das bessere Gesellschaftsmodell ist.

      Das funktioniert bei Russland nicht, weil unser Gesellschaftsmodell aus ihrer (d.h. der Mehrheit der indokrinierten Russen) Perspektive nicht erstrebenswert ist. Für die sind wir eine Ansammlung von woken Transen mit Regenbogenflagge.

      Mein educated guess ist, dass Russland durch den Wegfall an Arbeitskraft durch Auswanderung und der zahlreichen Gefallenen zu eine Kolonie Chinas wird. Und ehrlichgesagt glaube ich, dass die Kommunistische Partei Chinas mit ihren beharrlichen, lange vorausberechneten Plänen genau darauf kalkuliert.

      • Irgendwo habe ich mal gehört/gelesen: Russland wird die Tankstelle von China sein.

        Meine Großeltern empfanden übrigens Kaugummis und Rock’n’Roll als ebenso kulturzersetzend, gesundheitsschädlich und vom Teufel durchdrungen wie die Russen Menschen mit einer nicht ganz binären geschlechtlichen Identität.
        Das gibt sich also vielleicht in zwei Generationen.

  2. Pingback: Die Lager in unseren Köpfen |

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