Beim Anschauen des Films „Ida“, den ich noch auf meiner Liste zu sehender Filme hatte, weil er den Oscar als bester europäischer Film 2015 erhalten hatte, kam mir der Name des Regisseurs seltsam bekannt vor.
Eine Wikipedia-Suche brachte Erhellung. Pawlikowski, der auf Pressefotos immer ein wenig wie ein hipsterisierter Hedgefondsinvestor aus dem Londoner Finanzdistrikt wirkt, war zunächst Autor grungig gefilmter Dokumentationen mit Schwerpunkt Russland und Osteuropa kurz vor und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus
Zum ersten Mal bin ich bei der Lektüre von Emmanuel Carrères interessanter und lesenswerten Biographie über den Schriftsteller/Politiker/Desperado Eduard Limonow auf Pawlikowski gestoßen. Limonow, dessen Buch „Fuck off, America“ mir irgendwann in den 90er Jahren in die Finger kam (warum hat dieses Buch so einen bescheuerten deutschen Titel? Der Originaltitel lautet „Ja, Editschka“ in der englischen Übersetzung getreuer als „It’s me, Eddie“ übersetzt), ist ohne Zweifel ein talentierter Schriftsteller und eine illustre, widersprüchliche und zwielichtige Persönlichkeit mit zweifelhaften Ansichten über Stalin, Mussolini und Hitler, bei denen man sich nie richtig sicher ist, ob es sich um Provokation oder Ernst handelt. Sohn eines KGB-Mitarbeiters, eckte er früh in seiner Jugend mit dem engen Korsett der Sowjetgesellschaft an, obwohl er immer ein Faible für das Autoritäre und Harte des Kommunismus hatte, wurde aus dem Land gedrängt, lebte zunächst in New York, dann in Paris, bevor er in den 1990ern wieder nach Russland zurückkehrte und dort die Nationalbolschewistische Partei gründete.
In seiner mäandernden und viele Randthemen streifenden Biographie erwähnt Emmanuel Carrère deswegen Pawel Pawlikowski, weil auch er den Weg von Limonow während des Jugoslawischen Bürgerkriegs gekreuzt hat.
Hier eine Auswahl von Dokumentarfilmen von Pawlikowski:
Zunächst die berührende Dokumentation über den Schriftsteller Wenedikt Jerofejew, berühmt für seinen Trinkerroman „Die Reise nach Petuschki“.
Sein Protagonist, der nicht zufällig genau wie sein Schöpfer heißt, wacht morgens verkatert in einem Hauseingang auf und wankt durch Moskau auf der Suche nach dem Kursker Bahnhof, wo er den Vorortzug nach Petuschki zu nehmen gedenkt. Während der Fahrt ergeht er sich in teils urkomischen Betrachtungen über Religion, die Welt, das Leben als Sowjetmensch und natürlich über das Trinken, bis die Fahrt in einem infernalischen Delirium Tremens endet.
Sein Film „From Moscow to Pietushki“ ist neben dem Portrait des Schriftstellers Wenedikt Jerofejew auch eine Reportage über den Verfall und den Niedergang der russischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und über die Trinkkultur, weil Saufen die einzig mögliche und gesellschaftlich tolerierte Rebellion oder eher Flucht aus dem Kommunismus war.
Jerofejew, der früher so gutaussehend war, konnte sich kurz vor seinem Tod nach Jahren des Rauchens und harten Trinkens und der Erkrankung an Kehlkopfkrebs nur noch mit einem blechern klingenden Kehlkopfmikrophon verständigen, wobei er seinen trockenen, stoischen russischen Humor nicht verloren hat.
Zweiter Film: „Dostoyevsky‘ Travels“
Dmitri Dostojewski, Urenkel des russischen Großschriftstellers, Sehers und Seismographen der russischen Gesellschaft, arbeitet als Straßenbahnfahrer in Leningrad und begibt sich auf eine Lesetournee mit Werken seines berühmten Urgroßvaters. Sein innigster Wunsch ist es jedoch, einen Mercedes zu kaufen.
Zum Lachen ist, wie insbesondere die deutschen Bildungshuber der verschiedenen Dostojewski-Gesellschaften ernst und feierlich über die Werke debattieren, während sein Urenkel Dmitri mit seinem stoischen Russengesicht dabeisitzt und nur auf das Honorar wartet, um sich endlich seinen Mercedes kaufen zu können.
Zum Schreien komisch ist der berliner Gebrauchtwagenhändler. Eine Karikatur seiner selbst. Würde man versuchen, ihn zu parodieren, würde man es nicht halb so gut hinbekommen.
Dritter Film: Serbian Epics.
Hierzu gibt es nicht viel zu sagen. Serbischer Nationalismus in seiner ganzen Dummheit und Lächerlichkeit. Ab Minute 33 taucht auch Eduard Limonow auf, der sich auf den Standpunkt stellt, ein Mann müsse in seinem Leben vier Dinge erlebt haben: Gefängnis, Exil, Krieg und viele Frauen.
Er darf mit einem Maschinengewehr ein paar Kugeln auf Sarajewo abfeuern und gibt ebenfalls eine äußerst lächerliche Figur ab.
Die restlichen Dokumentarfilme, unter anderem „Tripping with Shirinowski“ sind bis dato auf Youtube leider nicht zu finden. Sie werden bei Gelegenheit nachgereicht.
„Ida“ der Spielfilm ist ebenfalls sehenswert. Ein lakonischer, irgendwie typisch osteuropäischer Schwarzweißfilm über eine polnische Klosterschülerin, die kurz vor dem Ablegen ihres Gelübdes erfährt, dass sie ein jüdisches Waisenkind ist. Gemeinsam mit ihrer Tante, einer harten Richterin, die den Namen „Blutige Wanda“ trägt, macht sie sich auf die Suche nach der polnischen Bauernfamilie, die ihre Eltern erst versteckt und dann ermordet hat. Mit 3,99 € seid ihr dabei.
Ich liebe die „Reise nach Petushki“, und „Ida“ wollte ich mir schon lange ansehen. Vielen Dank.
Ich mag das Buch auch sehr. Und die beiden Hauptdarstellerinnen aus „Ida“ sind wirklich großartig. Hast Du den Film schon angeschaut?
Gestern Abend, ja. Ich fand ihn sehr gut.