An dieser Stelle wollte ich an sich einen anderen Artikel veröffentlichen, aber nach dem grauenhaften Massaker in Paris, durch das ein Großteil der Redaktion von Charlie Hebdo ausgelöscht wurde, kommt mir derzeit jedes andere Thema unwichtig, belanglos und unpassend banal vor.
Mir ist bewusst, dass es schon eine Fülle an Beiträgen und Posts hierzu gibt. Viele haben mit einem schwarzen Profilbild bei Facebook ein kleines Zeichen ihrer Wertschätzung der Presse- und Meinungsfreiheit gesetzt oder sich auf andere Weise mit den Menschen solidarisiert, die wehrlos ermordet wurden.
Ich selbst war eher ein beiläufiger und unregelmäßiger Leser der Online-Ausgabe von Charlie Hebdo. Ich konnte mit der aggressiven Vehemenz mit der die Religionen, ihre Würdenträger und französische Politiker attackiert wurden, nicht immer etwas anfangen, dafür waren diese Themen zu weit von meiner Lebenswirklichkeit entfernt.
In diesem Artikel geht es mir nicht darum, einmal mehr religiösen Fanatismus zu geißeln oder die bisher bekannten Fakten zu Tätern und Tat zu kommentieren. Es geht mir zum einen um eine Art Würdigung von zwei Zeichner (Cabu und Wolinski), die unter anderem bei Charlie Hebdo veröffentlichten und die mich seit meiner Jugend begleiten. Dazu später mehr.
Ich glaube, dass die meisten Menschen in Deutschland – Journalisten eingeschlossen-, die so eifrig ihre Profilbilder für ein „Je suis Charlie“ auswechseln, dieses Wochenblatt erst am vergangenen Mittwoch wirklich zur Kenntnis genommen haben. Es ist für Nicht-Franzosen nicht ganz einfach, den Stellenwert dieser Zeitung, die in ihrer mittlerweile mehr als fünfzigjährigen Geschichte verboten, geschmäht, verflucht und vor den Kadi gezerrt wurde, der man aber den Status einer nationalen Institution nicht mehr verwehren kann, zu ermessen.
Daher zunächst der Versuch einer Erklärung, was den „Geist“ von Charlie Hebdo ausmacht.
Es wäre zu kurz gegriffen, Charlie Hebdo als bloßes „liberales“ Satireblatt zu qualifizieren. Charlie Hebdo stand von Beginn an für die Freiheit der Sprache, der Worte und der Gedanken, für Provokation, für ätzenden Humor, für dezidiert linke Werte und vor allem die unbedingte Verteidigung des Laizismus.
Ein gemeines, bissiges Blatt, dass sich weder füttern noch streicheln ließ und sich mit niemanden gemein machte . Der Stolz und die Unerbietigkeit seiner Autoren und Zeichner verbot es ihnen, irgendeiner der Gesinnungsdiktaturen, seien es nun „religiöse Gefühle“, „die guten Sitten“, „der Feminismus“ oder was auch immer auf der Tagesordnung stand, Respekt zu erweisen.
Vielleicht hilft es bei der Orientierung, wenn man sich die französische Presselandschaft wie eine Schulklasse vorstellt. Wenn der Platz des braven, doch gebildeten Strebers von „Le Monde“ besetzt wird und „Libération“ die linke Klassenschönheit ist, die später trotzdem zur bourgeoisen Spießerin mutiert, dann ist „Charlie Hebdo“ der schon zweimal sitzengebliebene Klassenclown, der sich einen Dreck um Noten oder Anerkennung schert.
Ursprünglich hieß die Zeitung „Hara-kiri“, 1960 gegründet, wie so oft von ein paar idealistischen und motivierten Freunden, die das muffige, gaullistische Frankreich reizen wollten. Dort wo bei anderen Zeitungen als Motto „unabhängig und überparteilich“ oder „der Wahrheit verpflichtet“ oder ähnlich trivialer, da selbstverständlicher Schmonzes steht, stand bei Hara-kiri: „Journal bête et méchant“ (dumme und bösartige Zeitung).
Mit von der Partie waren von Beginn an die Schriftsteller Cavanna und Roland Topor und als Zeichner Cabu, Wolinski und Jean-Marc Reiser, um nur die bekanntesten zu nennen. Die Zeitung brachte einen frischen Luftzug in das konservativ-prüde Frankreich mit seinem respektlosen Witz, seinem beißenden Spott und vor allem mit – damals verbotener –Nacktheit in Bildern und Zeichnungen.
1961 wurde die Zeitung zum ersten Mal für sieben Monate verboten. Laut Urteil waren die Zeichnungen „morbide“. 1970 erfolgte ein weiteres Verbot für das heute fast schon legendäre Titelblatt „Bal tragique à Colombey – 1 mort“. Die Zeitung hatte nicht nur 146 Menschen, die in einer Feuersbrunst umgekommen waren, sondern auch den eben verstorbenen Ex-Präsidenten De Gaulle verunglimpft, also eine Art Majestätsbeleidigung begangen.
Um das Verbot zu umgehen, benannte sich Hara-kiri um und wurde Charlie Hebdo. Die Jahre zwischen 1970 und 1974 waren die Jahre der Sorglosigkeit mit einer Auflage von 150.000 pro Woche. Doch das schöne Leben fand aufgrund von Nachlässigkeit im finanziellen Bereich ein Ende. 1981 wurde die Zeitung eingestellt. Rund zehn Jahre später, 1992, erhob sich die Zeitung – mit einem Großteil der alten Mannschaft – wieder aus der Asche und pendelte sich mit dem alten Konzept aus Provokation und Respektlosigkeitbei einer stabilen Auflage von 140.000 Stück ein. So schleppte sich die Zeitung, deren Glanz sich mit der Zeit abgenutzt hatte, dahin – bis zum Februar 2006.
Charlie Hebdo war eines der ganz wenigen Presseorgane, welches die „Mohammed-Karikaturen“ aus der dänischen Zeitung Jyllands-Posten publizierte. Die Ausgabe musste, einzigartiges Ereignis in der Geschichte des Blattes, eine zweite Auflage drucken. Mit dieser Veröffentlichung begann gewissermaßen eine neue Zeitrechnung. Charlie Hebdo wurde von der Union der islamischen Organisationen Frankreichs, der Großen Moschee von Paris und der Islamischen Weltliga verklagt, obsiegte jedoch vor Gericht. Die Drohungen blieben jedoch seit jenem Tag.
Seit seiner Wiederkehr in die Pressearena 1992 wurde Charlie Hebdo 48 mal verklagt und hat davon 9 Prozesse verloren. 1995 wurde die Zeitung wegen Beleidung verurteilt, weil ein Redakteur die Front-National-Politikerin Marie-Caroline Le Pen als „chienne de Buchenwald“ bezeichnet hatte (diesen Namen hatte sich ursprünglich die KZ-Kommandeuse Ilse Koch redlich verdient). Gewonnen hatte Charlie Hebdo jedoch den Prozess, den der ebenfalls frontistische Politiker Bruno Mégret angestrengt hatte, weil er sich durch die Bezeichnung „kleine Ratte“ verunglimpft fühlte. Mit freundlichen Betitelungen wie „pape de merde“ (für Johannes Paul II.) oder der Aufforderung in alle Weihwasserbecken der Kirchen zu scheißen, geriet Charlie Hebdo ins Fadenkreuz katholischer Organisationen, von denen die Zeitung zwischen 1994 und 1998 fünfmal verklagt wird.
Es fällt auf, dass in den letzten Jahren eher rechtsextreme Politiker gegen Charlie Hebdo klagten und sich islamische Organisationen damit eher zurückhielten.
Die Organisationen waren von den Misserfolgen vor Gericht wohl entmutigt. Das fanatische Fußvolk indes wählte nicht mehr den Rechtsweg, sondern den der Gewalt. Im November 2011 wurde die Redaktion mit Molotowcocktails verwüstet und brannte vollständig aus. Knapp drei Jahre nach dem Vandalismus kam der Terror.
Zurück zu den Zeichnern.
Aus dem Besitz meiner Mutter habe ich mir zwei Comicalben unter den Nagel gerissen: „Le grand Duduche en vacances“ von Cabu und „J’étais un sale phallocrate“ von Wolinski. Ich habe als Kind diese Bücher durchgeblättert, aber damals den Kontext und den hintersinnigen Witz nicht richtig verstanden.
Später wurden diese Bildbände für mich meine wichtigste Verbindung nach Frankreich und letztendlich sind sie auch ein Schlüssel zum Verständnis der Mentalität Frankreichs.
Cabu und Wolinski sind nicht nur Grundungsväter von Charlie Hebdo, sondern auch Urgesteine, der französischen Zeichenkunst. Ungefähr jeder Franzose der heute 25-70-jährigen kennt sie, da sie in so gut wie allen wichtigen Publikationen Frankreichs veröffentlich wurden.
Beide waren geprägt durch die wichtigsten Ereignisse in ihrer Jugend: dem Algerienkrieg und ´68. Bis in ihr hohes Alter haben sie den Funken der Revolte bewahrt: die Frechheit, den Rotz, eine kindliche Begeisterungsfähigkeit, den Idealismus und die Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten.
Cabu trug (der Gebrauch der Vergangenheitsform fällt mir noch immer schwer) mit fast 77 Jahren noch immer sein verschmitztes, jugendliches Gesicht spazieren wie sein Alter Ego „Le grand Duduche“. Beharrlich nahm er den Militarismus, Borniertheit und die Spießigkeit und den Muff von vor ´68 und darüber hinaus aufs Korn. Neben seinen Beiträgen für Charlie Hebdo war er Stammzeichner für das zweite, seriösere und weniger aggressive Satireblatt „Le canard enchaîné“.
Georges Wolinski, kam als Kind jüdischer Emigranten aus Italien und Polen in Tunis zur Welt und wuchs anschließend in Frankreich auf. Er war von 1970 bis 1981 Chefredakteur von Charlie Hebdo. In seinen Zeichnungen nahm er bevorzugt die Scheinheiligkeit der sexuellen Befreiung nach ´68 mit ihren alten Verboten und neuen Tabus auf die Schippe.
Vielleicht haben die beiden Schwachköpfe, die ihre Leben ausgelöscht haben, tief in ihrem Inneren geahnt, dass sie in ihrem armseligen Leben niemals die intellektuelle Größe, die Bildung, den Humor, die Schlagfertigkeit und somit diese immense persönliche Freiheit dieser beiden Männer würden erlangen können. So haben diese Nichtsnutze zwei 76 und 80 Jahre alte Legenden aus dem Leben gerissen.
Charb kannte ich als Zeichner am wenigsten, er war der jüngste in der Redaktion und doch seit 2009 Chefredakteur. In sehr lustiger Erinnerung habe ich allerdings die Videos, in denen er einen fiktiven Islamkonvertiten, Steven le Troudec’h, verkörperte. Schon sein Name ist ein vulgäres und doch sehr französisches Wortspiel: le Troudec’h = trouduc‘ = trou du cul = Arschloch. Sein Dschihad-Kampfname ist auch nicht viel besser: Abdelkader ben Charmouta (wobei man wissen muss, dass „Scharmuta“ das arabische Wort für Hure ist).
Im Grunde hat Charb nicht viel mehr getan, als die Fanatiker in ihrer Verblendung, ihrer bodenlosen Dummheit und ihrer grenzenlosen Vermessenheit und ihrer Lächerlichkeit zu porträtieren. Die Videos sind vielleicht nicht jedermanns Geschmack, doch ich kann darüber auf jeden Fall herzhaft lachen.
Ungemein witzig ist ich auch das Video, in dem Charb nichts anderes tut, als die unter Antisemiten und Aluhüten weitverbreitete Verschwörungstheorie wiedergibt, dass die Juden hinter den Anschlägen von 11. September stecken.
Am Rande sei bemerkt, dass nach dem Tod des Mannes, der immer von sich sagte, er habe weder Frau noch Kind noch Auto, ein Geheimnis gelüftet wurde. Durch ihr bewegendes Interview am Tag des Massakers wurde bekannt, dass Charb eine Lebensgefährtin hatte, die er der Öffentlichkeit aus Sicherheitsgründen verschwiegen hatte. Es ist die algerischstämmige Juristin und Wissenschaftlerin Jeannette Bougrab, die unter dem konservativen – und von Charlie Hebdo hemmungs- und gnadenlos gemobbten – Präsidenten Sarkozy den Posten einer Staatssekretärin innehatte.
Nur soviel als kleines interessantes Detail zu den unlösbaren Widersprüchen, die in einer multikulturellen Gesellschaft auftreten, wobei – dies muss man zugeben -, diese in Frankreich schon viel weiter fortgeschritten ist, als hierzulande.
Weiter oben habe ich geschrieben, dass die beiden Terroristen vielleicht geahnt haben, wen sie vor sich hatten, als sie das Büro stürmten. Mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher, ob das ganze Ausmaß ihrer Tat in ihre drogen- und religionsvernebelten Losergehirne eingedrungen ist. Sei’s drum. Die einzig treffenden Worte zu dieser Angelegenheit findet Freund und Kollege Patrick Pelloux, ausgebildeter Notfallmediziner mit eigener regelmäßiger Kolumne in der Zeitung und der als einer der ersten am Ort der Hinrichtung eintraf:
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