Ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern, wann ich den Film zum ersten Mal gesehen habe. Es war ein Morgen kurz vor meinem Examen. Es gab noch eine Menge Stoff zu lernen. Aber wenn man Examen schreibt, gibt immer noch mehr und mehr Stoff, den man sich ins Hirn pressen kann. Ich war in dem Zustand, wenn Kopf und Körper nicht mehr wollen. Mein Kopf war voll und leer und schwer gleichzeitig. Unwillig, mein Hirn mit noch weiterem Wissen zu malträtieren, zappte ich kaffeetrinkend durch die Kanäle. Wie ein Teufel aus der Kiste erschien die zwielichtige Gestalt Frédéric Mitterrands auf dem französischen Auslandssender TV5. Mit schönen, wohlformulierten Sätzen, wie sie sich für einen hohen Kulturfunktionär der französischen Ministerialbürokratie ziemen, pries er einen Dokumentarfilm an, den der Zuschauer, so sagte er, nie mehr vergessen würde.
Tony Gatlifs Film stellt die jahrhundertelange Wanderung der Roma aus Indien bis nach Europa dar, indem er jede Volksgruppe in ihrer musikalischen Tradition darstellt. Die dargestellte Lebenswirklichkeit ist gewiss idealisiert und hat mit dem tatsächlichen Elend, in dem die Roma- und Sinti-Ethnien tatsächlich leben, nicht viel gemein. Aber es war vermutlich auch die Intention, sich nur auf Schönheit und Fremdheit der Musik zu fokussieren. Die Reise beginnt in der Wüste Rajasthans, dem Ursprung der Romavölker, wo eine Hochzeit zelebriert wird. Es geht weiter über die Türkei und Ägypten und dann in den Balkan. In der rumänischen Episode tritt die damals noch unbekannte Gruppe „Taraf de Haidouks“ auf, die später Johnny Depp gerne für seine Hollywood-Partys einfliegen ließ. Sehr fremdartig und von einer unheimlichen Schönheit ist das Lied „Ballade des Diktators“, die der Kopf der Band, Nicolea Neacsu, zahnlos und mit gespenstischen Augen einem kleinen Jungen vorträgt. In Frankreich gibt es feinsten „Jazz Manouche“ und natürlich die Wallfahrt zur Schwarzen Madonna in den Saintes-Maries-de-la-Mer. Den Reigen beschließt die spanische Flamencogitarre.
Ein überwältigender und atemberaubender Trip aus Farben und Tönen. In der Tat, Frédéric Mitterrand hatte recht. Diesen Film würde ich nie mehr vergessen. Viel Vergnügen!
Das erinnert mich, dass ich endlich mal die Videos von meinem Besuch bei einer Roma-Band in Rumänien hochladen muss. Deprimierend ärmliche Umgebung, aber virtuoses Geigenspiel. Als ich mir die Musikinstrumente näher ansah, merkte ich, dass ein paar Saiten fehlten. Und dabei sind die Musiker noch diejenigen Roma, die etwas verdienen können. Trotz aller Diskriminierung und offenem Rassismus gegen die Roma in Rumänien sind sie bei Hochzeiten nämlich als Musiker durchaus gefragt.