Während sich die Corona-Epidemie so hinzieht oder besser: die (vielleicht sinnlosen?) Maßnahmen zu ihrer Eindämmung, hat sich das Leben verlangsamt. Die Kinder gehen nicht zur Schule, alle gehen später ins Bett und stehen auch später auf. Eine gute Gelegenheit, sich nachts ein paar Filme anzusehen, die ich nach Tips von Freunden oder Besprechungen auf meine Liste gesetzt habe, wo sie schon eine ganze Weile vor sich hingammeln.
Brawl in Cell Block 99
Es ist immer eine Freude, Vince Vaughn zu sehen. Ich mag den großen Lulatsch einfach, schon seit den Komödien mit Owen Wilson und Ben Stiller. In diesem Film versucht er anscheinend einen Karriereanschubmove mit einenm relativ unbekannten Regisseur zu machen, der bis jetzt nur wenige Filme auf dem Konto zu verbuchen hat. Ich mag übrigens auch Gefängnisfilme, und die Story lässt sich ganz gut an: Der ehemalige Drogenkurier Bradley Thomas verliert seinen Job und bekommt obendrein heraus, dass seine Frau (Jennifer Carpenter aus „Dexter“ hier noch vegan-abgemagerter) fremdgeht. Um seine Beziehung zu retten und seine erbärmliche Existenz zu verbessern, beginnt er wieder für seinen alten Boss zu arbeiten, was auch eine ganze Weile gut geht. Dann muss er mit zwei zwielichtigen Kartellschergen eine Drogenladung aus dem Meer fischen. Der Job geht schief und Bradley Thomas bekommt unerwartet sieben harte Jahre im Knast aufgebrummt. Dort erscheint ein undurchsichtiger Mann (ein Wiedergänger aus einer anderen Welt: Udo Kier mit seinem schleppenden Kölner Akzent). Er teilt Bradley mit, dass seine Frau in der Gewalt der Kartellmitglieder sei und er dafür sorgen müsse, in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt zu werden, um dort einen bestimmten Insassen umzubringen.
Die erste Hälfte des Films macht wirklich Laune, die zweite gleitet leider in enttäuschenden Klamauk ab. Vor allem sind die Kampfszenen am Rande der Lächerlichkeit. Hier hätte man etwas mehr in den Schnitt und eventuell in Effekte investieren müssen. Nur Don Johnson als Gefängnisdirektor ist ein Lichtblick in der zweiten Hälfte.
Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
Ich hatte große Stücke auf den Film gehalten, weil mir die Geschichte interessant vorkam, er den Golden Globe für den besten Film erhalten hat (und für den Oscar dafür nominiert war) und Frances McDormand den Oscar als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle erhalten hat.
Stattdessen: schweres virtue-signalling Kino. Die Tochter von Mildred Hayes (Frances McDormand) wurde vergewaltigt und ermordet. Die Polizei kann den Täter nicht finden. Das liegt daran, dass die Polizisten in der fiktiven Kleinstadt Ebbing erstens dumm, wie alle Männer in dem Film, und zweitens rassistisch sind. Statt den Mörder zu suchen, schikanieren sie lieber schwarze Menschen. Einzig Woody Harrelson, der Polizeichef, findet Gnade, aber er hat Krebs im Endstadium und schießt sich eine Kugel in den Kopf. So muss Mildred Hayes die Suche nach dem Mörder selbst in die Hand nehmen. Dabei zieht sich als Botschaft durch den gesamten Film, dass eine Frau nur dann Erfolg hat und nur dann bekommt, was sie will, wenn sie möglichst unangenehm, schroff und unfreundlich handelt.
Auf die Dauer fand ich das öde und ermüdend. Aber natürlich zeigt sich auch hier Frances McDormands enormes Talent als Schauspielerin, die ich seit ihrer Rolle in „Fargo“ schätze, einem Film aus der Schaffensperiode der Coen-Brüder in der jedem Werk ein untergründiger bizarrer Humor zugrundelag wie bei „The Big Lebowski“, „Barton Fink“ oder „O Brother, Where Art Thou?“ Auch in „Fargo“ wirken alle Protagonisten seltsam unterbelichtet. Dort jedoch war es das Stilmittel des nerdigen Humors, der den Charme der Coen-Brüder ausmachte.
Joker
Wahrscheinlich bin ich einer der wenigen, der diesen in den Himmel gelobten Film noch nicht gesehen hatte.
Joaquin Phoenix mag ich gerne. Ihn hatte ich zuletzt als Kaiser Commodus in „Gladiator“ in Erinnerung. Beim Nachlesen seiner Auftritte ist mir aufgefallen, dass er auch in „The Master“ mitgespielt hatte, den ich mir extra angesehen hatte, weil es eine der letzten Rollen von Philip Seymour Hoffman war, bevor er sich mit einem Drogencocktail das Licht ausgepustet hat.
Allerdings war dieser Film war so sterbenslangweilig, dass ich nicht nur den Plot und die Story, sondern auch vollkommen vergessen hatte, dass Joaquin Phoenix darin mitspielt.
In „Joker“ wird die Vergangenheit des Jokers erzählt, lange bevor er zu Batmans wichtigstem Erzfeind und Gegenspieler wurde. Die Darbietung von Joaquin Phoenix hat nichts mit der feisten und bräsigen Darstellung Jack Nicholsons von 1989 zu tun.
Angeblich hat sich Joaquin Phoenix für die Rolle 24 kg abgehungert, was ihm einerseits das scharfe, charakteristische Gesichtsprofil des Jokers, mit den langen Haaren aber auch etwas transvestitenhaftes verleiht.
Die Ursprünge für des Jokers Gemeinheit liegen hier nicht in einem einzelnen Trauma, wie in den DC-Comics und das charakteristische Lachen ist auch nicht das Lachen des Bösen, sondern das einer psychischen Krankheit. Regisseur Todd Phillips nähert sich dem Thema aus einer anderen Richtung.
Arthur Fleck ist ein einsamer Loser, der mit seiner Mutter in einer heruntergekommenen Wohnung lebt und gerne Stand-Up-Comedian werden will, obwohl er an einer psychischen Erkrankung leidet, die ihn bei den unpassendsten Gelegenheiten in ein manisches, unkontrolliertes Lachen ausbrechen lässt.
Er stellt einen Typus dar, der schon in den 90er Jahren von Houellebecq in „Ausweitung der Kampfzone“ und „Elementarteilchen“ porträtiert wurde. Angehöriger einer Kaste von jungen Männern, die irgendwann in ihrem Leben verstanden haben, dass ihre Fähigkeiten nicht ausreichen, um in der Gesellschaft „Karriere“ zu machen, einen „Status“ zu erlangen, Sex zu bekommen oder auch nur die entfernte Aussicht darauf, eine Beziehung zu einer Frau zu führen. Deren einzige Aussicht in ihrer Existenz darin besteht, sich von einem ausbeuterischen, seelentötenden Drecksjob zum nächsten zu hangeln, bis sie endlich ihr jämmerliches Leben aushauchen dürfen.
Vielleicht ist das zwanghafte Lachen als eine paradoxe Verzweiflungsreaktion des Unterbewusstseins auf diese absurde Existenz zu deuten.
Man merkt der Inszenierung von Todd Philipps an, dass er diese Thematik noch viel weiter ausarbeiten wollte als es in den zwei Stunden Spielzeit möglich war.
Sehr gut gefällt mir das Setting des Films. Offiziell ist es natürlich Gotham City, aber was in Realität zu sehen ist, ist das New York der 1970er und 80er Jahre: düster, heruntergekommen und abgefuckt. Der Dekade als er der Stadt vermutlich seit der Gründung durch holländische Kaufleute am dreckigsten ging, bevor ein gewisser Rudy Giuliani die Zügel wieder fest anzog. New York war nicht mehr die glitzernde Stadt der tausend Sensationen, der immer blinkenden und glitzernden Leuchtreklamen, der Hektik und Modernität, sondern eine Kloake, ein Hort für Obdachlose, Junkies, Gangs und Kriminelle.
Durch die Deindustrialisierung, den Wegfall von Werften und Fabriken und ökonomische Fehlentscheidungen war die Stadt in eine finanzielle Schieflag geraten.
Bankrott bettelte New York um Bundeskredite, die der Präsident jedoch rüde zurückwies, was in der heute legendären Schlagzeile der „Daily News“ gipfelte: Ford to City: drop dead!
Damit begann der Niedergang der Stadt, die tausende von Polizisten, Feuerwehrleuten und öffentlichen Bediensteten entlassen musste, weil sie ihre Gehälter nicht mehr zahlen konnte.
Die U-Bahn, von der Bevölkerung „mugger express“ genannt, und von normalen Leuten ab den Abendstunden nicht mehr genutzt, war ein zu unzuverlässigen Zeiten fahrender Moloch, heruntergekommen und gefährlich. Die Wagen graffittiübersät und von flackernden, grünlichen Neonröhren erhellt, siehe hierzu.
Dennoch war es eine Zeit, die heute in diversen Facebook-Gruppen wie „Old dirty 70’s New York” zelebriert wird und wo die Mitglieder Fotos posten, die ungläubig bestaunt und kommentiert werden. Auch vibrierte trotz allem eine immerwährende Energie in der Stadt, in der es heute unvorstellbarerweise billigen Wohnraum in heruntergekommen Ruinen in Harlem, Alphabet City oder der Lower East Side gab und wo verarmte, aufstrebende Künstler ihren Weg ins Rampenlicht nahmen, z.B. Madonna, Keith Haring, Jean-Michel Basquiat, die Action-Regisseurin Kathryn Bigelow, die damals Malerei studierte oder Rapcombos wie Grandmaster Flash.
Hier ein langer und sehr interessanter Artikel über diese Zeit, als sogar die Polizei Touristen mit einer Broschüre begrüßte, die „Welcome To Fear City“ betitelt war.
Todd Phillips zitiert an mehreren Stellen in dem Film Robert De Niro als Travis Bickle in „Taxi Driver“ und Charles Bronson in „Ein Mann sieht rot“. Insbesondere in der Szene als Arthur Fleck nachdem er an einem einzigen Tag nicht nur seinen Job, sondern auch seinen Therapieplatz verloren hat, der der Einsparung zum Opfer fiel, und damit auch den Zugang zu seinen Medikamenten in der U-Bahn sitzt und drei Yuppieschnösel in den Wagen steigen und anfangen und eine junge Frau belästigen.
Der Moment als Arthur Fleck in sein zwanghaftes, gespenstisches Jokerlachen ausbricht, bevor er die drei Arschlöcher tötet, gehört zu den starken Momenten des Films.
Wikipedia entnehme ich, dass Joaquin Phoenix für seine Performance sowohl den Golden Globe als auch den Oscar als bester Hauptdarsteller erhalten hat. In Zeiten, in denen alle Preisverleihungen mittlerweile hochpolitisiert sind und der Film vorab von Feministinnen verächtlich als „Incel-Manifest“ geschmäht wurde, halte ich das durchaus für bemerkenswert.
Ob er den Oscar tatsächlich verdient, muss jeder für sich entscheiden. Allemal eindrucksvoll ist Joaquin Phoenix schauspielerische Fähigkeit, schallend zu lachen und dabei unter seiner Clownschminke unendlich traurig auszusehen.
Moonlight
Ein Film, aus dem ich nicht ganz schlau werde. Avisiert wird er als „coming-of-age-drama“, den ich wegen des Doppelerfolgs als bester Film beim Golden Globe und bei den Oscars auf die Liste genommen habe.
Formal ist es die in ruhigen und kunstvoll komponierten Bildern erzählte Geschichte des zu Beginn 9-jährige Chiron, der in Miami mit seiner cracksüchigen Mutter lebt, die ihn vernachlässigt und verwahrlosen lässt und ihn als „Schwuchtel“ beschimpft. In der Schule wird der schweigsame und einzelgängerische Junge gemobbt. Geborgenheit findet er nur beim Crackdealer Juan, der ihm die Basics des Mannseins erklärt.
Interessant ist an dem Film, dass in dem Film nur schwarze Menschen auftreten. Das irritiert auf eine nicht greifbare Weise, macht einem aber auch bewusst, wie schwarze Menschen die Filme des überwiegend „weißen Hollywood“ wahrnehmen müssen.
Trotz der Preise, die der Film eingeheimst hat ist die Geschichte nicht sonderlich elaboriert und hat keine überraschenden Volten oder Widersprüche, die den Film interessant machen würden.
Behandelt werden neben den Geißeln des schwarzen Amerika – Vaterlosigkeit, Cracksucht und Apathie – noch in seltsam beiläufiger Art die Modethemen Homosexualität und Männlichkeit. Ehrlichgesagt nichts, was mich besonders fesseln würde.
Chiron macht drei Phasen durch: Kind, Jugendlicher, Erwachsener. Jede Phase wird durch einen anderen Darsteller repräsentiert. Ist Chiron als Jugendlicher eine schlaksige, nerdige Bohnenstange, der man das Unwohlsein an sich und der Welt ansieht, ähnelt er als Erwachsener seinem Mentor Juan: grotesk muskelbepackt gleicht er einer absurd aufgepumpten Version des Rappers Tyler, the Creator.
Es fällt auf, dass der Hauptdarsteller in den drei Teilen des Films nur im Mittelteil seinen Namen „Chiron“ trägt, während er als kleiner Junge und als Erwachsener Spitznamen („Little“, „Black“) trägt, so als würde der schmächtige Nerd die wahre Persönlichkeit des Protagonisten darstellen, die er kurz darauf ablegt, um sich einen Muskelpanzer zuzulegen, um alle Verletzungen abwehren zu können.
Vielleicht sollte dies in expressionistischer Weise den Wandlungsprozess von Chiron, dem weichen, sensiblen Jungen zum harten, gefühllosen Crackdealer symbolisieren.
Es ist die Frage, welche vermeintliche Botschaft der Film transportiert. Was ist der Weg für den (schwulen?/schwarzen?) Mann? Kann er sich nur in der Welt behaupten, wenn er alle Attribute und Eigenschaften des „Opfers“ ablegt und abtötet, also nicht mehr dünn, empfindsam, sensibel, „schwul“ ist, sondern stattdessen hart, brutal, stark, „stumpf“?
Unverständlich ist für mich auch der Oscar als bester Nebendarsteller für Mahershala Ali als Crackdealer mit Schuldgefühlen. Ich fand seine Performance hölzern und unterdurchschnittlich (vor allem: warum zum Teufel steckt er dauernd seine Zungenspitze aus dem Mund?!) ganz im Gegenteil zu seiner Rolle als smarter Lobbyist Remy Danton in der Politserie „House of Cards“, bei der er sein ganzes Können zeigt.
Normalerweise lasse ich mich von einem Film ganz naiv unterhalten, aber hier habe ich den Verdacht dass der Film und sein Thema für ein ganz bestimmtes Publikum und einen ganz bestimmten Kritikertypus gedreht wurde und dabei die größtmögliche Anzahl an politisch-korrekten Kästchen ankreuzen wollte, um seine Erfolgschancen zu erhöhen.