Corona-Filmtage Teil 2

Die Corona-Epidemie zieht sich weiter dahin. Es wird wieder Kurs auf die Normalität genommen. Dennoch immer noch lange Nächte, um sich Filme anzuschauen.

Hell or High Water

Taylor Sheridans Neo-Western reiht sich in die sogenannte Frontier-Trilogie ein, in denen der Regisseur das gewalttätige und verstörte Amerika speziell in der südlichen Grenzregion zu Mexiko sondiert.

Der erste Film dieser Reihe war Sicario, ein äußerst spannender Thriller, der sich mit dem Kampf gegen die mexikanischen Drogenkartelle in der nur durch die Grenze geteilten Zwillingsstadt El Paso und Ciudad Juarez beschäftigt und den ich uneingeschränkt empfehlen kann.

Das Setting in „Hell or High Water“ ist in der Gegend um Lubbock in der Nähe des „Texas Panhandle“ angesiedelt. Eine öde, ausgedörrte Landschaft aus Wüste und Tumbleweed. Die Städte eine Urbanität trostloser von der sengenden Sonne niedergedrückter Flachbauten in unendlichen Schattierungen von Ocker und Beige.

Zwei Brüder, Toby, ein besonnener Familienvater und Tanner, ein unbeherrschter Ex-Häftling, überfallen Banken, bei denen ihre verstorbene Mutter verschuldet war, um den Kredit für die Farm zurückzubezahlen, auf deren Gelände Ölfunde vermutet werden. Das geht eine Weile gut und dann zwangsläufig fürchterlich schief.

Eine Story von John Steinbeck in der Landschaft eines Romans von Cormac McCarthy mit Anklängen an den Gangsterfilm „Getaway“ mit Steve McQueen.

Schön ist es, mal wieder Jeff Bridges zu begegnen, den ich nach seinem chef d’oeuvre „The Big Lebowski“ nicht mehr wirklich auf dem Radar hatte. In Perfektionierung seiner Rolle als bärbeißiger Marshal in dem Remake von „True Grit, spielt er hier einen Texas Ranger kurz vor der Pensionierung, der trotz seiner Behäbigkeit mit seiner Erfahrung und seiner guten Spürnase genau weiß, mit welcher Art von Kriminellen er es zu tun hat.

Ein Film, der nicht prätentiös daherkommt, aber doch seine ganz eigene Intensität entwickelt. Er vermittelt sehr gut die Atmosphäre eines von der Wirtschaftskrise gebeutelten Landes, das zusätzlich den finanziellen, moralischen und vor allem menschlichen Blutzoll zweier schmerzhafter militärischer Besatzungen verdauen muss. Auch wird die Lage nachvollziehbar geschildert, in der eigentlich zwei nicht verkehrte Kerle sich in einer ausweglosen Situation empfundener Ungerechtigkeit wiederfinden, so dass sie keine andere Möglichkeit haben, als zur Waffe zu greifen.

Manchmal sieht man Splitter der amerikanischen Seele aufblitzen, eine ungerichtete Sehnsucht nach einer Zeit, in der Amerika weit und frei war, etwa in der Szene als Jeff Bridges sich in eine Decke mit indianischem Muster hüllt, um die Nacht zu durchwachen, und wie ein Cowboy seine Hose in die Stiefel steckt.

Wind River

Der dritte Teil der Frontier-Trilogie von Taylor Sheridan ist im Indianerreservat Wind River in Wyoming angesiedelt. Cory Lambert, der für die Forstbehörde als Jäger arbeitet, findet im Schnee die Leiche einer jungen indianischen Frau. Als sich herausstellt, dass sie ermordet wurde, wird das FBI auf den Plan gerufen, das für Kapitalverbrechen in Indianerreservaten die Ermittlungskompetenz hat. Die FBI-Agentin Jane Banner (Elizabeth Olsen, yep, die jüngere Schwester von Mary-Kate und Ashley) ermittelt und wird dabei von einem Reservatspolizisten und Cory, dem Fährtenleser, unterstützt, der selbst seine Tochter durch ein Gewaltverbrechen verloren hat. Ein guter Thriller mit ziemlich brutalem Ende, der sich mit Gewalt gegen Frauen in indianischen Reservaten beschäftigt.

Die Nile Hilton Affäre

Kairo kurz vor dem Ausbruch des arabischen Frühlings 2011 und dem Sturz von Husni Mubarak. Der korrupte Polizist Nordin Mostafa (Fares Fares) muss im Fall einer ermordeten Sängerin ermitteln. Verdächtigt wird ein reicher Immobilienmagnat mit Beziehungen zu höchsten Regierungskreisen.

Die Handlung des Kriminalfalls ist ein Vehikel für das größere dahinterstehende Thema, nämlich die Illustration des wirtschaftlichen und vor allem moralischen Niedergang Ägyptens.

Die Befunde sind jedoch für ausnahmslos alle anderen Länder des Nahen Ostens gültig: die grassierende Korruption, die alle Bereiche befallen hat und die dazu führt, dass selbst Major Mostafa seine Polizeikollegen bestechen muss, um einen Verdächtigen in „ihrem“ Stadtviertel verhaften zu können. Aber auch die vollständige moralische Korruption einer Gesellschaft. In eingeblendeten Fernsehansprachen schwadronieren Politiker von der Größe und Macht Ägyptens und vom unmittelbar bevorstehenden wirtschaftlichen Aufschwung; Prediger schwadronieren von Reinheit, Integrität und Frömmigkeit, während die Menschen des Landes zu jeder Minute des Tages das komplette Gegenteil dieser Gebote tun, sinnentleerte Worte sprechen und Gesten vollführen, die jede Bedeutung verloren haben.

Exemplarisch in der Szene, in der der Bulle erst betet, bevor der sich einen Joint anzündet und ein Bier aufmacht.

Trotz der etwas behäbigen Inszenierung – es ist eine schwedisch-dänisch-deutsche Koproduktion – ein guter und spannender Thriller.

Dogman

Eine Bestandsaufnahme aus Italien.

Marcello führt einen kleinen Hundesalon in einer kleinen namenlosen Kleinstadt. Genau wie alle anderen Gewerbetreibenden wird er von dem brutalen Schläger Simone terrorisiert, der mit Gewalt Drogen und Geld erpresst.

Als Simone bei einem Goldankäufer, der den Laden direkt neben Marcellos Hundesalon hat, einbricht, nimmt Marcello aus Angst vor Simone die Tat auf sich. Er wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung wird er von allen ehemaligen Bekannten geschnitten. Simone denkt auch nicht daran, ihm einen Anteil an dem Bruch zu geben. Er hat sich von der Beute ein neues Motorrad gekauft. Marcello entschließt sich, furchtbare Rache an ihm zu nehmen.

Ein sehr aktueller und auch – zumindest für mich – sehr deprimierender Film über das gegenwärtige Italien. Die kleine Stadt, in der sich die Geschichte abspielt könnte irgendwo in Süditalien liegen, ein Außenbezirk von Neapel oder Bari vielleicht. Stattdessen ist bei Wikipedia zu lesen, dass in einem Vorort von Rom (!) gedreht wurde.

Es sieht alles sehr heruntergekommen aus: plattenbauartige Gebäude, aus denen die Eisenarmierungen herausragen, verlassene Spielplätze.

Die abgefuckte Sowjetunion kurz vor dem Zusammenbruch am abgefuckten Mittelmeer.

Die Trostlosigkeit und Ödnis wird nur noch mehr dadurch hervorgehoben, dass in dieser dystopischen Atmosphäre Carabinieri mit ihren lächerlichen, überkandidelten Operettenuniformen herumstolzieren und die Männer mit ihren um die Schultern gelegtem Pullover herumlaufen wie in Mailand auf dem Domplatz.

Der Film erzählt nicht die große Mafiageschichte. Der Typus des Simone ist kein Mafioso, allenfalls ein niedriger „Fußsoldat“ in der weit entfernten Peripherie des organisierten Verbrechens. Er hat auch nicht die Fähigkeiten zu einem Mafiaboss, er ist ein kleiner, brutaler Gangster, der die Angst und Apathie ausnutzt, die sich breitgemacht hat.

Der Film fängt eine der vielen Nuancen der Kriminalität ein, die ihr zerstörerisches Werk auch am absoluten Ende der Nahrungskette verrichtet und Umstände produziert, in der den Menschen nichts übrigbleibt als entweder in duldender Gleichgültigkeit zu verharren oder ebenfalls zur Gewalt greifen und eine verhängnisvolle Spirale in Gang zu setzen.

Hart, dicht, realistisch: mein Favorit bisher in der Corona-Filmreihe.

Irgendwie bizarr und auch am Anfang sehr irritierend fand ich, dass der Hauptdarsteller Marcello mit der Synchronstimme der Zeichentrickfigur „Spongebob“ spricht. Aber an sich passt die Stimme zu der kleinen, schmächtigen Gestalt mit den Glubschaugen.

The Florida Project

Ein Film, den ich wegen des von mir verehrten Willem Dafoe ausgewählt habe, der den Oscar als bester Nebendarsteller erhalten hat.

Willem Dafoe schätze ich dafür, dass er es geschafft hat, sein Image als Charakterdarsteller nicht (allzusehr) durch Machwerke aus der Marvel-Superhelden-Kategorie zu kompromittieren.

Willem Dafoe hat nicht nur ein ziemlich apartes, überhaupt nicht hollywood-affines Äußeres, sondern bildete im Verlauf seiner langen Karriere auch eine sehr große Bandbreite schauspielerischer Darbietungen ab.

Seine Rollen umfassen den poetischen Rocker in Kathryn Bigelows ersten Langfilm „The Loveless“, den smarten und kaltblütigen Geldfälscher Rick Masters in „Leben und Sterben in L.A.“ (einer meiner Lieblingsfilme mit dem damals noch unbekannten William L. Petersen lange bevor er mit CSI den großen Durchbruch erlebte).

Dann natürlich Sergeant Elias im Vietnamdrama “Platoon” von Oliver Stone. Für mich eine seiner besten Rollen natürlich der Gangster Bobby Peru in David Lynchs „Wild At Heart“. In den 2000er Jahren wurde es dann etwas ruhiger. Eine schöne Nebenrolle hatte er in der unheimlich lustigen schräg-bizarren Komödie „Die Tiefseetaucher“ von Wes Anderson als schwäbelndem (im Original mit deutschem Akzent sprechendem) Besatzungsmitglied des Meeresforschers Steve Zissou (alter ego von Jacques Cousteau) gespielt von dem großartigen ewig unterschätzten Bill Murray.

Später hat er dann in mehreren Produktionen von Lars von Trier mitgespielt, unter anderem Antichrist, aber diese Filme sind aus verschiedenen Gründen nicht mein Ding.

Um die Aufmerksamkeit meiner geschätzten Leser nicht weiter zu beanspruchen, denke ich, dass es vielleicht ratsam ist, einen separaten Artikel über Willem Dafoe zu schreiben, und komme nun zum Eigentlichen.

Der Film behandelt eine Facette des abgehängten Teils Amerikas (der sich noch rasch vergrößern könnte, wenn man davon ausgeht, dass aufgrund der Corona-Pandemie 17,4 Millionen Menschen in den USA ihre Arbeit verloren haben.)

Hauptdarsteller sind in erster Linie die Kinder einer heruntergekommenen Hotelanlage in der Nähe von Disneyland in Florida, wo die Straßen solch surreale Namen tragen wie Seven Dwarves Lane.

Ähnlich wie in den französischen Filmen der 50er und 60er Jahre („Der Krieg der Knöpfe“ usw.“) folgt der Film den frechen Gören, wie sie auf den großen Parkplätzen der Motels und in leerstehenden Gebäuden herumstromern, auf Autos spucken, sich Geld für ein Softeis zusammenschnorren.

In dieser Hotelanlage, in der die Sozialfälle aus der Gegend geparkt werden, wachsen die Kinder mit ihren überforderten, teilweise drogensüchtigen Eltern auf.

Willem Dafoe spielt mit seinem mittlerweile sehr zerknautschtem Charaktergesicht den resigniert-gutmütigen Hauswart der Hotelanlage, der sich mit den Gören und den Eltern abplagen muss.

Ein netter und sympathischer Film, der den Zuschauer nicht völlig in Hoffnungslosigkeit zurücklässt.

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