Vor dreißig Jahren, am 17. September 1992, ermordete ein iranisches Terrorkommando vier Menschen in einem Berliner Restaurant und verletzte weitere schwer.

Die Todesopfer waren der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran (DPK-I), Sadegh Scharafkandi, sowie seine Vertreter für Europa, Fattah Abdoli, und für Deutschland, Homayoun Ardalan. Das vierte Todesopfer, Nouri Dehkordi, war nicht kurdisch. Er war Perser, fühlte sich den Kurden jedoch sehr verbunden. Zum einen, weil sie Verbündete im Kampf gegen das theokratische Regime in Teheran waren, zum anderen, weil die Kurden ihm 1982 geholfen hatten, außer Landes zu fliehen, als die Mullahs, die die Revolution gegen den Schah gekapert hatten, gegen alle Oppositionellen vorging. Damals war Dehkordi in die Berge Kurdistans geflohen und hatte sich dort versteckt. Die Kurden hatten ihn dann zu Pferde über die Grenze in die Türkei geführt, so dass er zurück nach Deutschland hatte fliehen könne, wo er bereits politisches Asyl zuerkannt bekommen hatte, weil er schon gegen Mohamed Reza Schah Pahlevi opponiert hatte.
Die Kurden waren als Gäste eines Kongresses der Sozialistischen Internationale auf Einladung von Björn Engholm zu Besuch in Berlin, da die DPK-I zur sozialdemokratischen Strömung gerechnet wurde. Dehkordi, der kein Übersetzer war, wie er auf Wikipedia dargestellt wird, sondern ein Flüchtlingshelfer in Berlin, war eine zentrale Figur der iranischen Exilszene in Berlin und organisierte Proteste und Öffentlichkeitsarbeit gegen die Mullahs.
Auch aktuell ist der Iran in Aufruhr und wird seit dem Tod des kurdischen Mädchens Mahsa Amini, die von Schlägern der Sittenpolizei angeblich wegen eines zu locker gebundenen Kopftuchs totgeprügelt worden war, von gewaltsamen Protesten erschüttert.
Mahsa Aminis Tod führt jedoch vor Augen, dass das iranische Regime schon immer besonders brutal gegen Kurden vorgegangen ist. Als die Kurden nach der Flucht des Schahs im Januar 1979 die gute Gelegenheit nutzen wollten und ihre Unabhängigkeit oder zumindest eine Autonomie erlangen wollten, wurden die Sezessionsbestrebungen mit unbarmherzig niedergeschlagen und tausende Kurden fanden den Tod.
Mit besonderer Brutalität tat sich dabei der Blutrichter Sadegh Khalkhali hervor, der stets mit umgegürteter Pistole Sitzung hielt und ein würdiger Nachfolger von Freisler und Fouquier-Tinville war.
In Kurdistan verurteilte er in einer dreißigminütigen Verhandlung 13 Kurden zum Tode. Das Urteil wurde stehenden Fußes vollstreckt. Das von Foto von der Erschießung, das der Fotograf Jahangir Razmi geschossen hatte, erhielt den Pulitzer-Preis.

Doch der terroristische Arm Teherans reichte bis nach Europa und darüber hinaus. Vor seinem Tod im Jahr 1989 hatte Ayatollah Chomeini an seine Vertrauten eine Liste mit den Namen von 500 Regierungsgegnern, Oppositionellen, Schriftstellern, Künstlern aber auch ehemaligen Mitgliedern der Schah-Regierung ausgegeben, die liquidiert werden sollten.
Schon kurz nach der „Islamischen Revolution“ machten sich die Schergen der Mullahs auf den Weg, um die Liste abzuarbeiten. Es war der Beginn der sogenannten Kettenmorde. Streng genommen könnte man Salman Rushdie, der im August dieses Jahres knapp einem Mordanschlag entgangen ist, auch zu der Mordserie zählen. Seit dem Erscheinen seines Romans „Die Satanischen Verse“ im Jahr 1988 steht er weit oben auf der Liste. Rushdie hatte geglaubt oder vielleicht gehofft, dass ihn die Ayatollahs nach mehr als dreißig Jahren vom Haken gelassen hätten, doch die religiösen Fanatiker haben ihn niemals vergessen und auch niemals den Auftrag aus den Augen verloren.
Die Mullahs dulden keinen Widerspruch oder Widerstand, sei er religiös, säkular oder ethnisch.
Aktuell wird nach dem Anschlag auf die Synagoge in Essen (es wurden einige Schüsse aus einer scharfen Waffe auf die Eingangstür abgegeben) wieder über Teherans Terrorexport diskutiert. Mysteriöserweise ist in diesen Anschlag Ramin Yektaparast verwickelt, ein Hells Angel aus Mönchengladbach, der Verdächtiger in einem Mordfall an einem angeblichen Spitzel innerhalb des Charters ist, dessen Leiche zerstückelt im Rhein gefunden worden war, und der vor dem Prozess den Iran geflohen war. Seine Telefonnummer fand sich bei dem mutmaßlichen Schützen, der auf die Synagoge geschossen hatte.
Zuletzt wurde im Jahr 2018 ein Bombenanschlag auf das Jahrestreffen des Nationalen Widerstandsrat in Villepinte bei Paris durch den Tip eines westlichen Geheimdienstes vereitelt. Ein iranisches Paar wird in Belgien verhaftet. Und – besorgniserregender – der dritte Botschaftsrat der iranischen Vertretung in Wien, Assadollah Assadi, wird in Deutschland festgenommen.
Zu dem Attentat im Restaurant Mykonos, der als erster Anschlag durch ein deutsches Gericht als Staatsterrorismus qualifiziert wurde, findet man in Deutschland merkwürdigerweise kaum noch Quellen oder Material, das sich für eine Recherche eignen würde. Auch auf Youtube findet man kaum Nachrichtensendungen aus der Epoche oder Reportagen, dabei kann ich mich noch gut daran erinnern, dass es ein aufsehenerregendes Ereignis war und häufig und breit darüber berichtet wurde.
Man muss also auf angelsächsische Literatur zurückgreifen, und zwar auf das sehr interessante Buch „Assassins of the Turquoise Palace“ der Journalistin Roya Hakakian, das auf das Attentat, die Protagonisten auf Opfer- und Täterseite aber auch auf die Prozessbeteiligten des Strafprozesses vor dem Kriminalgericht Moabit zurückblickt. Peinlicherweise ist dieses Buch nicht auf Deutsch übersetzt worden und es gibt auch kein deutsches Pendant, das sich mit diesem Thema befasst.

Das iranische Mullahregime ist aus europäischer Perspektive nur schwer zu durchschauen, so unverständlich sind seine Entscheidungen und seine Denkweise.
Hilfreich als Einstieg für das Verständnis ist dieser lange Artikel aus dem Time-Magazine vom Januar 1980, das Chomeini als „Man of the Year“ auf das Titelbild gehoben hat, natürlich nicht, weil die Amerikaner ihn besonders mochten (die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft war noch in vollem Gange), sondern weil er das Jahr 1979 in wesentlicher (negativer) Weise beeinflusst hatte.
Sehr lehrreich sind auch die Reportagen des kürzlich verstorbenen langjährigen „Le Monde“-Reporters Marc Kravetz. Damals war er für die Zeitung „Libération“ zwischen 1979 und 1981 für sechs längeren Aufenthalte im Iran und hat seine Erkenntnisse aus Gesprächen mit Akteuren der „Islamischen Revolution“, mit seinen linken Freunden und Bekannten, die voller Enthusiasmus den Sturz des Schahs begrüßt hatten. Als Franzose hatte er im Iran zumindest in der Zeit kurz nach der Revolution einen guten Stand und damit einen idealen Zugang, denn die Mullahs waren dem französischen Volk sehr dankbar, dass sie ihren Führer Chomeini so gastfreundlich in Neauphle-le-Chateau aufgenommen hatten, nicht ahnend, welchem Monster es Asyl gewährte. (Ein Hinweisschild, das über den Aufenthalt des Obersten Führers in dem kleinen Ort informierte, wurde im Januar 2023 von Unbekannten zerstört.)
Seine Beobachtungen über den Abstieg des relativ modernen Iran in eine Dunkelheit aus Obskurantismus, Dummheit, Intoleranz und Gewalt hat er in einem sehr interessanten Buch mit dem düsteren Titel „Irano Nox“ zusammengefasst (natürlich nicht übersetzt).

Durch ihn habe ich (glaube ich) verstanden, was mir vorher nie wirklich klar war: warum linke iranische Marxisten im Chor mit den Mullahs mit dem Ruf „Allah Akbar“ protestierten. Es gab zu Beginn der Proteste im Jahr 1978 eine Konvergenz der Interessen und ein gemeinsames Feindbild: den amerikanischen Imperialismus und seinen „Lakaien“, den Schah, der das Öl verschleuderte und sich Paläste baute, während große Teile der Bevölkerung hungerten und in Armut lebten. Es gab sogar links-islamische Strömungen. Manche linken Denker konnten sich eine Übereinstimmungen zwischen dem islamischen Konzept des Tauhid, d.h. der Einheit vor Gott, und der angestrebten klassenlosen Gesellschaft vorstellen. Dachten sie zumindest. Die naiven Linken hatten allerdings keine charismatische Galionsfigur, den hatten allerdings die Mullahs mit Chomeini. Sie unterschätzten die Entschlossenheit und Gewaltbereitschaft des schiitischen Klerus, den sie für marginal hielten und in Grenzen zu halten können glaubten. Wie sehr und bitter sie sich täuschten! Im Handumdrehen mussten die iranischen Linken, die teils aus dem europäischen Exil nach Iran zurückgekehrt waren, maßlos enttäuscht und desillusioniert wieder vor einer noch brutaleren Repression fliehen. Oder arrangierten sich mit ihr.
Kurz nach dem Sturz des Schahs tauchten auch europäische Feministinnen in Teheran auf, weil sie sich um die Rechte ihrer iranischen Schwestern sorgten. Und natürlich war auch die unvermeidliche Alice Schwarzer mit von der Partie. Man muss allerdings fairerweise zugeben, dass der Mullahstaat tatsächlich ein stimmiges Reiseziel war, wenn es darum gehen sollte, das Patriarchat zu bekämpfen.
Erwartungsgemäß kam es zu den bekannten Lagerkämpfe und sinnlosen Diskussionen, ob man gegen den Tschador oder das Kopftuch protestieren soll oder ob man zu sehr die Perspektive westlicher bourgeoiser Feministinnen einnimmt
Die Einzige, die wirklich geradlinig war und nicht die Übermutter Simone de Beauvoir um Rat fragen musste, war die italienische Journalistin Oriana Fallaci. Eine heute fast schon vergessene Journalistin, aber in den 70er und 80er Jahren eine Ikone, die für Ihre Reportagen aus Kriegs- und Konfliktgebieten aber vor allem für ihre Interviews berühmt war. Vor ihrem Tod im Jahr 2006 war sie – meiner Meinung nach zu Unrecht – als islamophob und rechtsextrem verschrien. Doch von all diesen feministischen Maulheldinnen war sie die Einzige, die während eines Interviews mit Chomeini, die Eier hatte, sich das Kopftuch vom Kopf zu reißen.
Back to the point:
Die hochkarätige Führung der DPK-I hatte sich am Abend des 17. September 1992, einem Donnerstag, im Mykonos versammelt, um sich mit anderen iranischen Exiloppositionellen zu treffen.
Das Restaurant hatte ein Jahr zuvor den Betreiber gewechselt. Inhaber war nun ein iranischer Exilant namens Aziz Ghaffari. Den Namen und das griechisch gestaltete Interieur hatte er aus Mangel an Geld oder einfach aus Faulheit und Bequemlichkeit beibehalten. Es war ein Treffpunkt der iranischen Oppositonsszene in Berlin.
Der Vorsitzende der DPK-I, Sadegh Scharafkandi, wurde von seinen Anhängern ehrfurchtsvoll „Doktor“ genannt, was er seinem Studium der analytischen Chemie in Frankreich zu verdanken hatte. Er war ein zurückhaltender, wenig charismatischer Mann, das komplette Gegenteil seines Vorgängers Abdulrahman Ghassemlou. Dieser war drei Jahre zuvor, im Juli 1989 in Wien ermordet worden. Um eine diplomatische Krise mit Teheran abzuwenden, hatten die österreichischen Behörden den Tätern, die sich in der iranischen Botschaft versteckt hatten, freies Geleit zum Flughafen gewährt.
Zu dem Treffen in Berlin, das Nouri Dehkordi organisiert hatte, waren kaum Leute erschienen. Der Wirt des Mykonos hatte sich im Datum geirrt und die Gäste für Freitag bestellt, obwohl ihm Nouri Dehkordi mehrmals den Donnerstag eingeschärft hatte, weil der „Doktor“ am Freitag an einer weiteren Konferenz in Paris teilnehmen sollte. Eine der vielen Merkwürdigkeiten in diesem Fall.
Um vor dem von ihm verehrten Doktor Scharafkandi nicht das Gesicht zu verlieren, telefonierte Dehkordi alle iranischen Bekannten herbei, die er erreichen konnte. Unter ihnen befand sich auch Parviz Dastmalchi, der an sich nicht mehr ausgehen und einen ruhigen Abend verbringen wollte. Er ist es, der bis heute die Erinnerung an das Attentat wachhält.
Die kurdischen Ehrengäste saßen an der Stirnseite des Hinterzimmers des Restaurants als in einer Wohnung im Senftenberger Ring in Berlin-Reinickendorf zweimal das Telefon klingelte. Das vereinbarte Signal, mit dem der Mordanschlag ins Rollen kam. Das Treffen war verraten worden. Von wem ist bis heute nicht geklärt.
Das Mordkommando nutzte zwei Autos und die U-Bahn, um zum Restaurant im Stadtteil Wilmersdorf zu gelangen. Dort beobachtete das aus vier Männern bestehende Team eine Stunde lang das Restaurant von außen.
Der Anführer war ein Iraner, die anderen drei waren Libanesen. Ein Mann blieb als Fluchtfahrer beim blauen BMW an der Kreuzung, ein weiterer blieb vor dem Restaurant, um Schmiere zu stehen. Der Anführer und ein weiterer Mann betraten das Restaurant, durchschritten es und blieben im Durchgang zum Hinterzimmer stehen. Das Gespräch erstarb. Nach Angaben der Überlebenden trat ein Totenstille ein. Alle blickten zu den beiden maskierten Männern, die auf sie herabstarrten. Der Anführer stieß einen Fluch auf Persisch aus: „Ihr Hurensöhne!“ Dann schoss er aus einer automatischen Waffe, die in einer blauen Sporttasche, Marke „Sportino“, verborgen war, mehrere Salven auf die Anwesenden ab. Die drei Kurden und Nouri Dehkordi brachen zusammen, weitere Personen wurden schwer verletzt. Der zweite Täter tötete die Sterbenden mit Schüssen aus einer schallgedämpften Pistole.
Dann verschwanden die Täter wieder. Sie stiegen in den BMW, der mit quietschenden Reifen davonfuhr. Die Täter stiegen während der Fahrt getrennt voneinander an unterschiedlichen Orten in der Stadt aus. Zuletzt parkte der Fahrer den Wagen im Halteverbot und warf die Tasche mit den Waffen in der Hektik kurzerhand unter ein parkendes Auto.
So konnte die Polizei wenige Tage später das Fluchtauto und die Tatwaffen sicherstellen: der spanische Lizenznachbau einer Uzi und eine spanische Pistole Marke Llama. Die Ermittlungen ergaben, dass beide Waffen im Jahr 1972 von Spanien an die kaiserliche iranische Armee verkauft worden waren.
Für die Exiliraner in Berlin und anderswo war die Sache klar: dieser Vierfachmord trug die Handschrift des iranischen Regimes.
Die Berliner Polizei war sich dessen nicht so sicher. Sie verdächtigte zunächst offiziell die PKK. Aus Sicht der Polizei war es plausibel, dass im Kampf um die politische Hegemonie eine Konkurrenzorganisation geschwächt werden sollte, zumal die PKK in der Vergangenheit auch zu solchen Mitteln gegriffen hatte. Diese Hypothese wurde auch geraume Zeit an die Medien kommuniziert.
Es ist Parviz Dastmalchi zu verdanken, dass er, der die Täter aus nächster Nähe gesehen hatte und den Fluch auf Persisch gehört hatte, dass die Ermittler ihre Hypothese überdachten.
Der entscheidende Faktor war jedoch ein Hinweis vom Bundesamt für Verfassungsschutz, der seinerseits einen Tip vom britischen Geheimdienst erhalten hatte. Die amerikanischen und britischen Dienste waren trotz des Mauerfalls noch in Berlin aktiv und überwachten iranische Akteure und Hisbollah-Sympathisanten.
So wurde als erster der Libanese Yousef Amin im nordrhein-westfälischen Rheine festgenommen. Der Mann, der vor dem Restaurant Schmiere gestanden hatte. Er der am wenigsten ideologisch Gefestigte in dem Team gewesen. Es dauerte nicht lange, und erfahrene BKA-Ermittler hatten ihn weichgekocht. Er verriet seine Mittäter.
Der Anführer mit der Maschinenpistole war der Iraner Abdulrahman Bani-Haschemi, der Mann mit der schallgedämpften Pistole war der Libanese Abbas Rhayel. Planer und Anstifter der Aktion war ein gewisser Kazem Darabi. Letzterer war Anfang der 1980er Jahre als Student nach Deutschland gekommen und bereits 1982 als Beteiligter an einem Überfall von regimetreuen Studenten auf das Studentenwohnheim Inter 1 in Mainz negativ aufgefallen. Mehrere regimekritische iranische Studenten waren durch Stahlruten teilweise schwer verletzt worden, eine deutsche Studentin starb. Er sollte ausgewiesen werden, konnte jedoch nach Intervention der iranischen Botschaft bleiben. Er ging nach Berlin, wo er sich für das Fach Bauingenieurwesen einschrieb, jedoch mangels Ablegens von Prüfungen exmatrikuliert werden sollte. Erneut kam ihm die iranische Botschaft zu Hilfe. Er betrieb danach einen Gemüseladen in Berlin-Neukölln. Der Erwerb wurde ihm, der weder Ausbildung noch Beruf noch Geld hatte, vom iranischen Regime finanziert. Es war (und ist es wahrscheinlich auch noch heute) eine verbreitete Praxis des Regimes, seinen Anhängern im Ausland kleine Geschäfte zu finanzieren, damit seine Sympathisanten eine Erwerbstätigkeit nachweisen und damit einen Aufenthaltstitel bekommen können und – der Zweck des Ganzen: im Zielgebiet wirken können. Netter Bonus: das iranische Regime kann in diesen kleinen Läden sein schmutziges Geld aus kriminellen Aktivitäten waschen.
Darabi war vor dem Attentat nach Teheran ausgereist, um Spuren zu verwischen und nicht in Verbindung gebracht zu werden. Da aus Deutschland entgegenstehende Signale ausblieben, fühlte er sich so sicher, dass er wieder nach Deutschland einreiste und am Flughafen Frankfurt festgenommen wurde.
Diese Affäre kam für die deutsche Regierung zur Unzeit, denn Kohl und seine Regierung befanden sich just zu diesem Zeitpunkt mitten in ihrem berühmt-berüchtigten „kritischen Dialog“ mit dem Iran. Chomeini war seit drei Jahren tot, es war ausreichend Gras über die Exzesse gewachsen. Es war Zeit, die Beziehungen zu normalisieren – und natürlich gute Geschäfte zu machen.
Es wäre ungerecht zu behaupten, dass untragbare Wirtschafts- und Außenpolitik erst mit dem gierigen Gasprom-Gerd begonnen hätte, die von der prinzipienlosen Merkel und dem beratungsresistenten Scholz weitergeführt wurden. Kohl und die Regierungen davor haben es zu ihren Zeiten schon ganz genauso gemacht.
Das ahnten die iranischen Exiloppositionellen nur zu gut. Sie vertrauten der deutschen Polizei und waren überzeugt, dass die deutsche Justiz die Täter überführen und sie einer gerechten Strafe zuführen würde.
Was die Exilanten fürchteten, waren opportunistische Politiker, die den Prozess durch einen Deal torpedieren könnten, der die Verurteilung der Täter verhindern würde. Oder aber die Täter nach einer kurzen Anstandsfrist freilassen würden. Die Exiliraner hatten die richtigen Instinkte: genau so trat es auch ein.
Im Oktober 1993 begann der Prozess gegen den Anstifter Kazem Darabi, den Pistolenschützen Abbas Rhayel und den Späher Yousef Amin. Letzterer wurde, da er bei der Polizei ausgepackt hatte, im Gefängnis bedroht und wurde von den Mitangeklagten im Prozess getrennt, indem er der Hauptverhandlung in einem separaten Plexiglaskasten vis-à-vis der beiden anderen Angeklagten beiwohnen musste. Während Darabi und Rhayel eisern schwiegen, störte Amin die Verhandlung durch Zwischenrufe und theatralische Allüren.
Der Prozess endete 1997 mit lebenslangen Freiheitsstrafen mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld für Darabi und Rhayel. Yousef Amin wurde wegen Beihilfe verurteilt. Bemerkenswert war, dass das Gericht direkt das iranische Regime, und insbesondere Informationsminister (d.h. Geheimdienstminister) Ali Fallahian, als Drahtzieher des Attentats benannte.
Der Schütze mit der Uzi, Bani-Haschemi, konnte in den Iran entkommen und wurde nie für die Morde zur Rechenschaft gezogen.
Nicht aufgeklärt wurde, wer der Verräter gewesen war, der dem Terrorkommando das Signal zum Losschlagen gegeben hatte. Der Verdacht lastete schwer auf dem Restaurantbesitzer Azis Ghaffari. Bei ihm wurde nach dem Attentat bei einer Durchsuchung eine größere Geldsumme gefunden. Vom Vorsitzenden hierzu befragt, gab der Zeuge unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Erklärung ab, die „das Gericht zufriedenstellte“, wie der Vorsitzende im Anschluss mitteilte. Andererseits fragten sich die Exiliraner, wie es sein konnte, dass der mittellose Ghaffari ein Restaurant erwerben konnte. Hatte das iranische Regime wie bei Darabi ein bißchen Anschubhilfe geleistet? Lag es an dem Misstrauen, das ihm entgegenschlug oder lag es anderen Gründen? Ghaffari brach mit der Zeit alle Kontakte zu seinen ehemaligen Gesinnungsgenossen ab. Er war auch der Einzige, der nach dem Prozess in den Iran zurückkehrte und sich eine neue Existenz als Apotheker aufbaute.
Wie kam es zu der falschen Datumsangabe, wenn denn tatsächlich Ghaffari der Verräter gewesen sein sollte? Hatte er bewusst, den Gästen das falsche Datum genannt? War es ein letztes Zugeständnis an sein Gewissen, um nicht unnötig Blut zu vergießen? Oder wollte er nur für das Terrorkommando die Anzahl der anwesenden Personen überschaubar halten, damit die Operation handhabbar bleibt und nicht aus dem Ruder läuft?
Niemand hat bis heute eine Antwort auf diese Fragen.
Das Regime in Teheran, das direkt des Auftragsmordes bezichtigt worden war und das Gesicht verloren hatte, schäumte und drohte. Da es keinen Einfluss auf die Justiz nehmen konnte und auch diplomatischer Druck nichts brachte, verlegte es sich auf alte Taktik, durch Entführungen deutscher Staatsangehöriger einen Gefangenenaustausch herbeizupressen. Zuerst durch die Geiselnahme des Geschäftsmannes Helmut Hofer und dann von Donald Klein.
Im Hintergrund sind sicherlich permanent Gespräche gelaufen. Nachdem ein wenig Gras über die Sache gewachsen war und das Attentat nicht mehr so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stand, wurden Darabi und Rhayel nach 15 Jahren – trotz der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld – in den Iran respektive in den Libanon abgeschoben.
Ein Deal, wie er für die Regierung unserer Kanzlerin der Herzen, Angela Merkel, nicht typischer hätte sein können.
Die iranische Jugend indes kämpft vereint und ethnienübergreifend weiter gegen die korrupten Blutgreise, die ihr das Leben und ihre Jugend stehlen wollen.

Dilem für Charlie Hebdo
Ich bin immer noch froh und erstaunt darüber, dass mich der Iran im Sommer 2009 – mitten während der Grünen Bewegung – nach nur einer Woche Inhaftierung frei und laufen ließ, ohne zu versuchen, mich gegen jemanden auszutauschen. Man hätt ja denken können, dass ein Rechtsanwalt ein besseres Pfand ist als ein Angler.
Die Kritik an den Gefangenenaustauschen würde ich jedoch nicht auf die Regierung Merkel beschränken. Das machen alle Regierungen auf der Welt. Am großzügigsten gegenüber dem Iran war ja eher der US-Präsident der Herzen, Ronald Reagan.
Und wenn eine Regierung an solchen Tauschgeschäften nicht mitwirken will, dann muss sie ihren Staatsangehörigen eben die Reisen in jene Länder verbieten. Das unterbindet die Reisen auch nicht hundertprozentig, aber zumindest macht es jedem die Gefahr deutlich.
Aber viel mehr als vom Geiselaustausch profitieren Staaten wie der Iran eh vom Wirtschaftsaustausch, der trotz aller Sanktionen immer munter weitergeht.
Aus meiner Erfahrung von den Protesten und den Treffen mit Oppositionellen im Sommer 2009 würde ich das Narrativ von Jung gegen Alt nicht so pauschal übernehmen wollen. Ganz im Gegenteil, im Iran sind viele Alte liberaler und offener als manche Junge, die ihr ganzes Leben unter der Islamischen Republik verbracht hatten. Ich habe in iranischen Familien Diskussionen mitbekommen, wo die 60-jährigen Eltern viel aufgeschlossener waren als ihre 25-jährigen Kinder. Die Alten kennen noch etwas anderes, und sie kennen die Welt, weil Iraner bis 1979 in die meisten Staaten visumsfrei reisen durften.
Danke für Deine Gedanken. Ich erinnere mich an Deine Erlebnisse im Iran 2009, über die es auch einen Artikel im Spiegel-Online gab, glaube ich.
Klar gibt es skrupellose Konzerne, die Geschäfte um jeden Preis machen wollen, aber die Geiseldiplomatie gehört vom Beginn der Islamischen Republik zur außenpolitischen Doktrin. Gerade erst wurde ja auch vor dem Hintergrund der Verurteilung der verhinderten Attentäter ein belgischer Entwicklungshelfer zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.
Vielleicht hast Du damals nur einfach großes Glück gehabt, da Du ja auch noch bei einer Demo verhaftet wurdest. Vielleicht hatte dein „case handler“ einfach einen guten Tag oder was auch immer.
In der jetzigen Situation fände ich gerade deswegen eine Reise in den Iran für sehr riskant.
Es stimmt auch, dass die Generation, die noch die relative Modernität der Schah-Monarchie kannte, liberaler eingestellt ist, aber die ist nun schon eher im Herbst ihres Lebens und zu sehr großen Teilen auch im Exil.
Ich glaube, dass die iranischen „Millenials“ durch das Internet, das auch in der repressivsten Despotie nicht vollständig unterdrückt werden kann, genau wissen, was in der Welt vorgeht, wie andere junge Leute in Europa und den USA leben und keine Lust mehr haben, sich ihre Jugend stehlen zu lassen und sich von verdummten, reaktionären Priestern Kleidungs- und Lebensvorschriften machen zu lassen.
Aus eben diesem Grund würde ich derzeit tatsächlich nicht in den Iran (und auch nicht nach Russland) reisen.
Nicht, dass mich ein paar Jahre Gefängnis selbst zu sehr stören (solange man ausreichend Bücher bekommt). Aber wenn ich dann am Ende gegen einen Waffenhändler oder Mörder ausgetauscht werde, dann würde ich mich ein Leben lang grämen.