Woran denkst du?“ sagte sie. An meine Arbeit morgen früh und an das Büro, sagte er, und wie sehr ich diesen Dingen ausgeliefert bin. Wie sind die Leute, deine Kollegen, fragte sie. Nichts Besonderes, wie alle anderen, sagte Abschaffel. Kommt es vor, daß du auch mal gern zur Arbeit gehst, oder gehst du nie gern, fragte sie. Das weiß ich gar nicht mehr, sagte er, ich kann keine Unterschiede mehr feststellen. Ich muß einfach hin. Ich hasse meine Arbeit, sagte er, und der Haß hat mich still gemacht, er erregt mich nicht, und er stimmt mich nicht gegen die Arbeit ein. Der Haß auf meine Arbeit hat mich auch perfekt gemacht, sagte Abschaffel, ich bin eine gute Kraft geworden. Der Haß und die Stille in mir, beide brauchen einander, sagte er, denn der Haß muß still bleiben, und die Stille meines Lebens in dieser Arbeit muß voller Haß sein.
Wilhelm Genazino, Abschaffel.
Wenn man in der Frankfurter City arbeitet, dann schweift manchmal der Blick in die umliegenden Hochhäuser. Durch die Glasarchitektur hat man einen schönen Blick in die Büros und kann die gezähmten Tiere in ihren kleinen Ställen gut beobachten. Wie sie auf ihre Tastaturen tippen, telefonieren, ihre Cargo-Cult-Aufaben erledigen. Ganz vorwitzige nehmen auch eine Abmahnung in kauf und lesen Spiegel-Online.
Ich habe auch mal in so einem Glaskasten gesessen und mich immer gefragt, ob es hier in diesem Hochhaus oder um mich herum auch noch jemanden gibt, der sich durch diese Art die kostbare Lebenszeit zu verwenden – zu verschwenden – beleidigt fühlt. Ich blicke in die erleuchteten Fenster und frage mich: Gibt es in diesen 600 Büros auch noch jemanden wie mich? Unglückliche? Suchende? Sehnsüchtige? In diesen Bürohöllen? Träumer, die was erleben wollen? Leben wollen?
Mittags auf der Fressgass sieht man sie dann von Nahem: strohige Haare, Façonschnitt ohne Gel, Metall- oder randlose Brille. Neuerdings sind dunkle, große Horngestelle modern. Man sieht gute, aber nicht erstklassige Anzüge, mittelpreisige Krawatten von P&C. Sie haben BWL, VWL oder Jura studiert. Alle „erfolgreich“. Sie sind intelligent genug, um ein Jurastudium mit Prädikatsexamen abzuschließen, aber nicht intelligent genug, um über diese Perspektive hinauszudenken, darüber hinauszuleben.
Manche von ihnen schleifen hochpreisige Metallkoffer von Rimowa hinter sich her. Damit will der Träger (fast immer ist es ein Träger und keine Trägerin) einen Ausgleich für einen öden, ereignislosen 12-Stundentag schaffen. Er will bereit sein für den Ernstfall. Urplötzlich könne sich ja der Erdboden auftun, es könnte sich ein Terroranschlag ereignen oder ein Feuersturm ausbrechen. Doch dafür ist gesorgt worden, der wichtige Inhalt des Koffers ist dann geschützt. Wichtige Vertragsunterlagen können nach dem atomaren Erstschlag noch unbeschädigt geborgen und die Vertragsverhandlungen im Bunker per Skype abgeschlossen werden.
Ich habe selbst mal dazugehört, bin entkommen. Konnte die tägliche Unterwerfung nicht mehr ertragen, auch nicht mehr die im Unterlassen steckenden Leben, die erlöschenden Lebensgeister meiner Kollegen täglich sehen. Leben, die aus Arbeit und auf feststehenden, nicht mehr änderbaren Übersprungshandlungen bestehen: abends Tagesschau, sonntags Tatort, vielleicht mal ein Grauen erregend langweiliger Spieleabend mit Freunden. Die abgesicherte Hölle der Mittelmäßigkeit.
Auf den Bürofluren dominieren Gesprächsthemen, die an Niedrigkeit nicht mehr unterboten werden können: Lästereien über andere Kollegen, Austausch über „spannende“ Dienstreisen, erwünschte Gehaltserhöhungen. Abgerundet wird dieser Alltag durch sozial akzeptierten Druckabbau (Alkoholexzesse, Abfeiern zu bekannten und massentauglichen Bands). So kann sich der moderne Dienstleistungsuntertan cool und verwegen geben und sein Sklavendasein verbergen.
Das ganze greift in Frankfurt extrem um sich. Neue Stadtteile entstehen. Schmutzige, dreckige (menschliche) Ecken verschwinden, wie der Stadtteil im Gallus um den alten Güterbahnhof, wo das neue Europaviertel entsteht. Wohnhäuser in Glasarchitektur stehen jetzt da, damit die modernen Mitarbeiter von heute keinen Schock bekommen, wenn sie aus ihrem Glasbüro plötzlich in einer verstörend ungewohnten Umgebung aufschlagen. Man begegnet in Frankfurt immer weniger Menschen, denen man ansieht, dass sie einen Beruf außerhalb eines Büros ausüben.
Die Voltastraße. Vor 15 Jahren noch ein eher düsteres und leicht heruntergekommenes Viertel. Heute ein Hochglanzviertel mit steril wirkenden Kneipen und Restaurants.
Auf dem Bürgersteig zwei Frauen in der typischen Business-Angestellten-Kluft: dunkler Rock, Regenmantel, Bluse, Scheiß-Blackberry in der Hand. Ich muss an Abschaffel denken und wie wenig sich seit dem Erscheinen seines Buchs eigentlich geändert hat. Anscheinend ist es gelungen ist, die Angestellten noch mehr und noch subtiler zu korrumpieren. Mit Gehalt und schwachsinnigen Utensilien und Insignien. Wie dem Blackberry oder dem Smartphone. Heute gibt jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, so eine schmerzlose Sklavenpeitsche an seine Mitarbeiter. Die dürfen sich wichtig fühlen und mit ihrem blöden Telefon wedeln, aber der Arbeitgeber gewinnt. Die E-Mails kommen auch spätabends. Sie wohnen in diesen kleinen Hasenställen für Angestellte und Wochenendependler, Singles, in denen man immer einen riesigen Flachbildfernseher flimmern sieht. Diese kleinen Wohnungen sind sicherlich luxuriös, aber an der Situation selbst hat sich nichts geändert: am Phänomen der Abgestumpftheit nach einem langen 12-stündigen Arbeitstag vor dem Computer, an der Entfremdung und Einsamkeit. Es gibt nur mehr Zerstreuung, mit der man verdrängt, dass man ein Sklave ist, der dumme und sinnlose Tätigkeiten verrichtet.
Diese Kontrolle haben die Menschen selbst erschaffen, nicht unbedingt durch aktives Mitwirken, sondern auch (vielleicht vor allem?) durch billigende und hilflose Passivität.