Der Mann mit der Nadel

Für einen Junkie hat er wirklich verdammt lange durchgehalten. So ziemlich alle Weggefährten hat er überlebt. Jack Kerouac und Neal Cassady haben lange vor ihm ins Gras gebissen. 1994 erwischte es dann Charles Bukowski und 1997 Allen Ginsberg. William S. Burroughs hat ihm um knapp vier Monate überlebt, dann hat auch er den Löffel abgegeben – was man nicht treffender formulieren könnte –  und ist in die ewigen Junk-Gründe eingegangen.

Vor zwanzig Jahren, am 2. August 1997 ist William S. Burroughs mit 83 Jahren gestorben. Ein Zeitpunkt für mich, um einem Mann Ehre zu erweisen, der meine jugendlichen Gedanken zwar in eine bedenkliche Richtung gelenkt hat, aber auch meine Phantasie und Einbildungskraft wie nur wenige andere stimuliert hat.

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William S. Burroughs war eine aparte Persönlichkeit: Harvard-Absolvent, Waffennarr, Junkie, zunächst heimlich, dann offen lebender Homosexueller, Schriftsteller und am Ende seines Lebens eine Art Pop-Ikone.

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In der Riege der Beat-Schriftsteller war er ein Exot. Auf Bildern sieht er aus, als wäre er schon immer alt gewesen, lange bevor sich die Falten tief in sein Gesicht kerbten.

Seine hagere Silhouette und die unterkühlte, kontrollierte, steife Erscheinung passte nicht zu dem wilden hedonistischen Zeitgeist der 50er und 60er Jahre. Seine Garderobe bestand meist aus einem dreiteiligen Anzug, Hut und Krawatte. Teil dieser Kostümierung war aber stets ein kleines Necessaire mit seiner persönlichen Injektionsnadel.

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Hinter der Fassade des biederen Provinznotars verbarg jedoch sich eine schillernde Persönlichkeit, die eine enorme Phantasie mit Selbstzerstörung und Gewalt, ehrliche Liebenswürdigkeit mit großartigem Humor verbinden konnte.

Er hat es vermocht, vielleicht nur vordergründig unvereinbare Persönlichkeitsanteile zu vereinen: hier der erzreaktionäre Waffennarr und Mitglied der National Rifle Association, dort der schwule Außenseiter und Junkie.

William Burroughs and Jean Michel Basquiat

In seiner Biographie finden sich auch dunkle Schatten. Seine zweite Frau Joan Vollmer erschoss er in Mexiko, als er in betrunkenen Zustand die Wilhelm-Tell-Szene mit einem großkalibrigen Revolver nachspielen wollte. In Tanger, wo er wie viele Schriftstellerkollegen aus der „Lost Generation“ eine Zeit lang lebte, unterhielt er Beziehungen mit marokkanischen Jünglingen, die man heute wahrscheinlich als pädophil bezeichnen würde.

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Am Ende seines hart und gnadenlos gelebten Lebens war er zu einer Kultfigur geworden, der in seinem „Bunker“ genannten Domizil in der Bowery in Manhattan Hof hielt und um den sich auf den Partys in Manhattan Mick Jagger und Madonna rissen oder David Bowie und der Maler Jean-Michel Basquiat, Iggy Pop, Keith Haring und sogar Kurt Cobain und Leonardo DiCaprio wollten mit ihm aufs hippe Foto.

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WSB Leonardo

Schließlich tauchte er auch in einem Videoclip der Industrial-Band Ministry auf.

Nichts in seiner Biographie ließ allerdings zu Beginn einen derartigen Lebensweg erahnen.

1914 in St. Louis/Missouri als Enkel des berühmten Erfinders der Burroughs Rechenmaschine, einem Vorläufer des Computers, in eine wohlhabende Industriellenfamilie hineingeboren, war er an sich für den konservativen Lebensweg eines großbürgerlichen WASP der Südstaaten prädestiniert.

Vielleicht war es seine Homosexualität, die ihn aus dem vorherbestimmten Leben aus Arbeit, Gottesfurcht und Langeweile geworfen hat. Oder vielleicht ein frühes Interesse an Waffen und Betäubungsmittel aller Art.

Nach seinem Studium in Harvard bereiste er Europa und geriet in New York City über GI‘s, die nach ihrer Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg Bezugsquellen für Schmerzmittel und Opium aufgebaut hatten, an Heroin. Er zog sich die Sucht zu, die er Zeit seines Lebens nicht mehr loswurde.

Sein autobiographischer Roman „Junkie“ war ein Skandalerfolg. 1953 veröffentlicht unter seinem Pseudonym William Lee, das sich in seinen späteren Texten zu seinem Alter Ego verselbständigt, schockierte er seine damalige Leserschaft. Mehr als 25 Jahre vor „Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hatte Burroughs schon eine schonungslose Beschreibung der Schwulen- und Junkie-Subkultur im New York der 1940er und 50er Jahre abgelegt.

War dieser Roman noch überwiegend linear erzählt, wandte Burroughs in seinen späteren Texten die „Cut-up“-Technik an. Sie besteht darin, scheinbar unzusammenhängende Beschreibungen, Assoziationen und Textfragmente zu verbinden. Vielleicht ermöglichte ihm diese „Cut-up“-Technik, seiner überbordenden Phantasie einen künstlerischen Ausdruck zu geben.

Sein bekanntestes Opus „The Naked Lunch“ (1959) ist wie alle anderen Romane vom großartigen Carl Weissner übersetzt, der das richtige Sprachgefühl hatte, um die in einer Mischung aus Oxford-Englisch und Slang geschriebenen Bücher ins Deutsche zu übertragen, ohne dass es gekünstelt wirkt.

In „The Naked Lunch“ entfaltet sich das für Burroughs charakteristische Panorama aus immer wiederkehrenden, vermutlich im Yage- oder Ayahuascarausch geträumten mystischen Tieren wie Tausendfüßler und Kakerlaken und merkwürdigen Szenerien, die mit seltsamen Wesen bevölkert sind, wie zum Beispiel Latahs:

„Latah ist ein Zustand, der in Südostasien auftritt. Ein Latah imitiert wie unter Zwang  jede Bewegung eines anderen, sobald ihn dieser durch Fingerschnalzen oder einen scharfen Anruf auf sich aufmerksam macht; ansonsten verhält er sich ganz normal. Das Signal des anderen wirkt auf ihn wie ein hypnotischer Befehl. Latahs versuchen manchmal, die Bewegungen von mehreren Leuten gleichzeitig nachzuahmen, und renken  sich dabei sämtliche Glieder aus.“

…oder Mugwumps:

„Mugwumps haben keine  Leber und nähren sich ausschließlich von süßen Säften. Unter ihren dünnen violetten Lippen verbirgt sich ein rasiermesserscharfer Schnabel aus schwarzem Knochen, mit dem sie sich in Kämpfen um Kunden oft gegenseitig in Stücke reißen. Ihr ständig erigierter Penis sondert eine suchterzeugende Flüssigkeit ab, die den Stoffwechselprozess verlangsamt und dadurch lebensverlängernd wirkt. Die süchtigen Kunden der Mugwumps werden als ‚Reptilien‘ bezeichnet. Einige von ihnen haben sich im Lokal mit ihren elastischen Knochen und ihrem schwarz-rosa gesprenkelten Fleisch über die Stühle drapiert. Hinter jedem Ohr wächst ihnen ein fächerförmiger Fühler aus grünem Knorpel heraus, bedeckt von erogenen Strudelhärchen, mit denen sie die Flüssigkeit aufnehmen. Diese Fühler ermöglichen ihnen zugleich auch eine Art Kommunikation – sie werden von unsichtbaren Strömungen gesteuert und senden Signale aus, die nur Reptilien verständlich sind.“

Es erscheint dort auch zum ersten Mal Dr. Benway, ein heroinsüchtiger, korrupter Arzt, dessen Namen ich mit der unterstellten freundlichen Genehmigung des Schöpfers als mein Blogger-Pseudonym übernommen habe.

„Dr. Benway ist im Augenblick als Berater für die Repuplik Freeland tätig, wo man der freien Liebe huldigt und permanent badet. Die Bevölkerung ist durchweg angepaßt, kooperativ, ehrlich, tolerant, und vor allem: reinlich. Daß man Dr. Benway dennoch verpflichtet hat, deutet allerdings darauf hin, dass hinter dieser hygienischen Fassade nicht alles in bester Ordnung ist. Benway ist Spezialist für das Manipulieren und Koordinieren von Symbolsystemen; er ist Experte für Verhörtechniken, Gehirnwäsche und Verhaltenssteuerung.“

Besonders angetan haben es mir die Passagen mit den heute längst veralteten Slang-Ausdrücken und Soziolekten der Junkies und Schwulen des New York der 40er und 50er Jahre.

Bei seinen Protagonisten verband sich Burroughs skurriler Humor mit seiner Fabulierungskunst. Seine – meist nur kurz für die Pointe auftauchenden – Figuren, heißen Autopsie-Ahmed, der illegal Organe verkauft oder tragen die unwahrscheinlichsten Namen wie Salvador Hassan O’Leary.

„Salvador Hassan O’Leary alias ‚Der Schuhladen-Heini‘, alias ‚Der linke Marv‘, alias ‚Nachgeburt-Larry‘, alias ‚Slunky-Pete‘, alias ‚Plazenta-Juan‘, alias Vaseline-Achmed‘, alias ‚El Chinche‘, alias ‚El Culito‘, usw., usw. – eine Liste von fünfzehn Seiten -, hatte seinen ersten Stunk mit der Polizei in New York, wo er mit einem Kerl herumzog, der bei den Kripoleuten von Brooklyn als ‚Blubber Wilson‘ bekannt war und sich sein Geld für seine Goofballs dadurch beschaffte, daß er Fetischisten in Schuhgeschäften ausnahm.

 „Die hätten mich glatt zu fünf Jahren verdonnert“, sagte Hassan, „wenn ich nicht an einen anständigen Bullen geraten wäre.“ Hassan geriet jedesmal, wenn er in die Scheiße trat, an einen anständigen Bullen. Seine Akte enthält eine drei Seiten lange Liste mit Schimpfnamen, die er sich wegen seiner bereitwilligen Zusammenarbeit mit der Polizei eingehandelt hat. Für die Bullen ist er einer, der „mitspielt“; für die aus der Branche ist er etwas anderes: Ab, der Bullen-Verehrer; Der verstunkene Marv; Der quasselnde Jid; Ali der Spitzel; Der linke Sal; Der singende Kaffer; Der Itzig mit der hohen Stimme; Das Opernhaus in der Bronx; Der gute Geist vom Revier; Der Antwortdienst; Der quäkende Syrer; Der verschwiemelte Schwanzlutscher; Der musikalische Homo; Das verkehrte Arschloch; Der Schwule mit dem Schandmaul; Leary vom RD; Der flötende Kobold; Gertie das Klatschweib.“

Irgendwo in den Untiefen des Internets existiert ein Filmausschnitt, in dem William S. Burroughs mit seiner schleppenden, schartigen Stimme gekleidet mit Anzug und Hut diesen Abschnitt aus „The Naked Lunch“ liest.

1991 hat der Regisseur David Cronenberg das Kunststück vollbracht, dieses unverfilmbare Werk tatsächlich auf die Leinwand zu bringen. Über das Ergebnis gibt es die unterschiedlichsten Ansichten. Einigkeit besteht darüber, dass es in dem Film herrliche Szenen gibt. Wie zum Beispiel die Geschichte vom sprechenden Arschloch.

Jedesmal, wenn ich in meiner fernen Jugend diese Szene in bekifftem Zustand mit meinen Kumpels sah, lagen wir anschließend eine Viertelstunde am Boden. Nun ja, die Jugend. Ich finde die Szene hat jedenfalls immer noch Charme, wie auch diese Szene, die die düsteren und paranoiden Anteile von Burroughs Welt gut einfangen.

Heute finde ich zu seinen Werken nicht mehr so recht den Zugang wie früher, aber ich bin dem alten Outlaw dankbar für seine Inspirationen und Impulse.

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