Das INA-Medienarchiv lässt vergangene Zeiten und untergegangene Orte wiederauferstehen. Diese interessante Reportage hebt das sogenannte Îlot Chalon aus der Versenkung, das vor etwa 25 Jahren unter den Planierraupen und Abrissbirnen verschwunden ist.
Es war ein winziges kleines Viertel nordöstlich der Gare de Lyon im 12. Arrondissement.
Nach der Einweihung der Gare de Lyon bot es Werkstätten, Lager und Wohnungen für die Bahnhofsarbeiter. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaufte die Eisenbahngesellschaft große Teile der Häuser auf, um sie zur Erweiterung des Bahnhofs abreißen zu können. Indes: der 1. Weltkrieg kam dazwischen. Nichts geschah. Die Häuser blieben stehen und verfielen. Weder die Eisenbahngesellschaft noch die verbliebenen Eigentümer hatten Interesse daran, Geld für die Sanierung von Gebäuden auszugeben, die dem Abriss geweiht waren.
Chinesen aus der Provinz Zhejiang siedelten sich an und im Îlot Chalon entstand das erste Chinatown von Paris. Später kamen noch Muriden aus dem Senegal hinzu und gesellten sich zu den übrig gebliebenen Franzosen hinzu – einfachen Leuten, aber auch kleinen Beamten. Die Ethnien blieben jedoch streng voneinander abgegrenzt.
Das Viertel verfiel immer mehr. Es konnte keine Einigung über den Kauf herbeigeführt werden, weil die verbliebenen Eigentümer vor dem Abriss den Preis hochtreiben wollten.
Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre siedelten sich Künstler und Musiker aus der Punkszene in den Häusern an, wobei „Punk“ in Frankreich eine Sammelbezeichnung für alles ist, was sich nicht in das klassische Rock-Schema einordnen lässt.
Irgendwann wurde das Îlot Chalon zu einem Drogenumschlagplatz und die Häuser zu Heroin-Schießbuden. Das besiegelte das Ende.
Der Fotograf Francis Campiglia hat von 1986 bis zum Abriss im Jahr 1996 das Leben und den Verfall des Viertels dokumentiert und auch die Szene um den Musiker Hervé Haine und die damals noch unbekannten Bands „Les Négresses Vertes“ und „La Mano Negra“ kurz vor ihrem Durchbruch.
Ich hatte damals zu diesem Thema recherchiert, konnte bei meinem letzten Parisbesuch leider nicht mit Francis Campiglia sprechen.

Der Musiker Hervé Haine mit seiner Frau und seinen Kindern.






Hervé Haine mit „Les Négresses Vertes“; mit der Gitarre der Sänger Helno Rota, der 1993 an einer Heroin-Überdosis starb.

give paris one more chance – j. richman
Schön wär’s. Aber dieser Zug ist leider schon sehr lange abgefahren.