Und nachts wars schön. Sogar was auf uns abgefeuert wurde, war nachts schön, schön und äußerst schrecklich.
Ich erinnerte mich, wie ein Phantom-Pilot davon erzählt hatte, wie schön Boden-Luft-Raketen aussähen, wenn sie rauf zu seinem Flugzeug gezogen kämen, um ihn zu töten, und ich entsann mich, wie wunderschön .50-Kaliber-Leuchtspurgeschosse sein konnten, während sie auf dich zukamen, wenn du nachts im Hubschrauber flogst, so langsam und anmutig, wie sie mühelos raufkurvten, ein Traum, so weit weg von allem, das dir Böses tun konnte. Du konntest dann eine vollkommene heitere Gelassenheit empfinden, eine Erhabenheit, die dich über den Tod hinaushob, aber das dauerte nie sehr lange. Ein Treffer irgendwo am Helikopter brachte dich zurück, zerbissene Lippen, weiße Handknöchel und alles, und dann wusstest du, wo du warst.
Michael Herr, Dispatches
Das ganze Leben müsste ein Abenteuer sein. Fremde Länder bereisen, exotische Städte mit klangvollen Namen bereisen wie Bagdad, Grosny, Sarajevo, Herat, Kabul, Beirut oder Damaskus, mit interessanten Menschen sprechen, Gefahren überstehen, aufregende Geschichten hören, Fotos machen und nach alldem einen spannenden Artikel schreiben.
Dieses romantisierende Bild des Kriegsreporters ist seit dem August des letzten Jahres einer ziemlich brutalen Ernüchterung gewichen, als die beiden Journalisten James Foley und Steven Sotloff nach ihrer Verschleppung in syrische Folterkeller vor laufender Kamera auf barbarische Weise enthauptet wurden.
Trotz allem scheint diese Dekade, die noch mehr und noch brutalere Konflikte zu generieren scheint, als die vorige und in der Journalisten als Beute behandelt werden, die man verkauft oder köpft, wenn der gewünschte Kaufpreis nicht erzielt wird, junge Freelancer mit Laptops und Kameras magisch zu Reisen ins Kampfgebiet zu animieren.
Sebastian Haffner hat in seinem Psychogramm des Dritten Reiches „Germany: Jekyll & Hyde“ Krieg, als „die Rettung und die letzte Zuflucht für so viele gescheiterte Existenzen“ bezeichnet.
Andererseits ist es für eine beträchtliche Anzahl von Menschen, darunter nicht wenige Frauen, aus friedlichen und wohlhabenden Ländern, eine erstrebenswerte Option, sich absichtlich und willentlich in die Gefahr zu begeben, erschossen, in Stücke gerissen oder entführt und ermordet zu werden.
Manche große Reporter sind zunächst gar nicht mit der Intention in den Krieg gezogen, um über ihn zu berichten. George Orwell, dessen Werk leider oft nur auf „1984“ reduziert wird, ist mit dem Idealismus nach Spanien gefahren, dort Faschisten zu bekämpfen, was ihm einen Halsdurschuss durch einen phalangistischen Scharfschützen einbrachte. Seine Erlebnisse hat er erst später in seinem Buch „Mein Katalonien“ verarbeitet.
Wieder andere werden die noblen Aspekte herausstreichen, nämlich über Leid zu berichten, das der Öffentlichkeit völlig unbekannt ist; die Menschen und die Welt aufzurütteln; Schicksale zu erzählen und Menschen eine Stimme zu geben, die keine haben. Vielleicht auch eine Art professionellen Ehrgeiz gestehen, über eine bestimmte Begebenheit als einziger und als erster zu berichten.
Unzweifelhaft ist der Lockruf des Abenteuers verführerischer und sexier als ein von Zwängen bestimmter Alltag mit seinen Routinen und täglichen Kompromissen, seinen banalen Ärgernissen, den unfreundlichen Verkäuferinnen, den schmutzigen Windeln, der Steuererklärung, den Elternabenden und vor allem dem Gefühl sein Leben einfach nur hinter sich zu bringen.
Hierin sind Kriegsreporter manchen Jung-Dschihadisten nicht unnähnlich, die das Schicksal eines schlechtbezahlten Jobs als Paketzusteller oder am Leergutautomaten bei Rewe mit Freuden eintauschen gegen die Möglichkeit, eine Kalaschnikow mit sich zu führen und zu bedienen, Zivilisten zu terrorisieren, Frauen zu mißbrauchen, also all die Dinge zu genießen, die in Friedenszeiten, wenn man dafür arbeiten muss, langwierig und kostspielig sind.
Die Kriegsreporterin Janine di Giovanni schreibt in ihrem Buch „Die Geister, die uns folgen“, das die Spätfolgen traumatisierender Erlebnisse und das Zerbrechen ihrer Ehe thematisiert: „Angst vor dem Krieg hatte ich nicht, aber vor Cocktailpartys in London, vor New Yorker Büros und davor, mich um mein Bankkonto zu kümmern.“
Ähnliches schreibt die russische Journalistin Anna Politkowskaja in ihrem Buch „Tschetschenien. Die Wahrheit über den Krieg“: „Ich bin dem Krieg dankbar, in den ich zufällig geraten bin und in dem ich genauso zufällig stecken geblieben bin, weil ich gelernt habe, über den Dingen zu stehen. Der Krieg ist eine schreckliche Sache, aber er hat mich von allem Überflüssigen befreit und alles Unnötige abgehackt. Wie kann ich meinem Schicksal also nicht dankbar sein?“
Nur wenige Reporter werden sich und anderen eingestehen, dass ihr Beruf auch mit der Faszination für Krieg und Gewalt zu tun hat. Mit Nervenkitzel, Mut und Selbstüberwindung. Dieser speziellen Mischung aus Angst und Adrenalin, die süchtig macht, etwa so wie es Hooligans berichten, die sich auf freiem Feld zu Schlägereien verabreden. Vielleicht auch mit der etwas scheinheiligen Haltung, ein Soldatenleben führen zu können, nur ohne sich dabei die Hände schmutzig zu machen.
Diejenigen – meist sind es männliche Reporter – die sich zu dieser Faszination bekennen, stehen vor dem immer gleichen Problem: dem Unvermögen, über den Krieg so zu schreiben, dass es für einen Unbeteiligten nachempfindbar wird. Und zwar als das, was der Krieg ist: Etwas Schreckliches und Faszinierendes zugleich. Ein Ereignis, das die elementarsten Emotionen anspricht. Angst, Neugier, Tötungstrieb. Es bleibt stets nur eine Annäherung. Als Leser erhascht man nur kleine Ahnungs-Fetzen, von dem, was es bedeutet, sich im Krieg oder unter Beschuss zu befinden.
Für Michael Herr hat der bewaffnete Kampf auf gewisse Weise eine erotische Konnotation: „Aber wenn es erst mal wirklich losging, war alles anders. Du warst einfach wie alle anderen auch, du konntest weder blinzeln noch Spucke produzieren. Es kam jedesmal genauso wieder, gefürchtet und willkommen, deine Eier und Eingeweide gleichermaßen drunter und drüber, deine Sinne funktionierten wie Flackerblitze, stürzten frei hinunter bis ins Absolute und stoben dann wieder stürmisch im Brennpunkt zusammen, wie beim ersten heftigen Wirkungsstoß nach ner Psilocybin-Spritze, kamen an einem Ruhepunkt an und sprengten alle je gekannten Freude und Angst, je gekannt von jedem, der je lebte, unaussprechlich in ihrer rasenden Klarheit, rührten an alle äußersten Grenzen und vergingen dann, als wäre das alles von außen gelenkt worden, von einem Gott oder vom Mond. Und jedesmal warst du hinterher so müde, so entleert von allem, außer vom Gefühl, am Leben zu sein, dass du dich an nichts erinnern konntest, außer du wusstest, es wär wie irgendwas gewesen, das du schon mal früher empfunden hattest. Es blieb dir lange unklar, aber nach genügend vielen Malen nahm die Erinnerung Umriss und Gestalt an und enthüllte sich schließlich eines Nachmittags beim Ausbruch eines Gefechts. Es war das Gefühl, das du gehabt hattest, als du, viel viel jünger, zum ersten Mal ein Mädchen auszogst.“
Michael Herr, der für Esquire aus Vietnam berichtete, beschreibt in seinem sperrigen und stark assoziativ, wie im LSD-Rausch geschriebenen Bericht „Dispatches“ eine fast schon surreale Szenerie, wo Reporter Helikopter wie Taxis besteigen und sich an die Front oder in entlegene Dschungelstellungen fliegen lassen konnten, um mit den Soldaten zu plaudern und Gras zu rauchen. Einen gigantischen Männerspielplatz mit Gewalt, Action, Frauen und Drogen.
In der bunten Korrespondentenfauna von Saigon waren die Korrespondenten selbst so etwas wie Rockstars. Der Brite Tim Page, der seinen Kampfanzug mit Schals, Ketten, Ringen und anderen Freakutensilien ausstaffierte und auf die Soldaten den Eindruck eines Aliens machte, war die Vorlage für das von Dennis Hopper dargestellte kamerabehängte Drogenwrack in „Apocalypse Now“.
Sean Flynn, der das Aussehen eines Male Models seinem berühmten Vater Errol zu verdanken hatte, hängte eine drittklassigen Karriere als B-Movie-Schauspieler an den Nagel, um sich gemeinsam mit seinem Freund Dana Stone einen Wettbewerb zu liefern, wer noch spektakulärere Bilder von noch gefährlicheren Aufklärungsmissionen mit Special Forces oder Lurp-Einheiten mitbringt.
Dana Stone
Michael Herr ist auch einer der ersten, der etwas beschreibt, was sich nur ganz wenige Soldaten und Reporter vor sich selbst eingestehen wollen, eine Art Rausch der Gewalt:
Unter Beschuss sein löst dich von deinem Kopf und auch von deinem Körper, den Abstand, den du noch ne Sekunde vorher zwischen Subjekt und Objekt gesehen hattest, gabs nicht mehr, er schlug in einem schnellen Adrenalinwirbel zusammen. Erstaunlich, unglaublich, Jungs, die viel harten Sport getrieben hatten, sagten, sie hätten nie was Ähnliches gefühlt, das plötzliche Niedergehen und Raketensausen des Treffers, die Adrenalinreserve, die du dir selber nutzbar machen konntest, indem du sie hochpumptest und freisetztest, bis du verloren darin rumtriebst ohne Angst, fast bereitwillig, darin heiter-wollüstig zu ersaufen, wirklich entspannt. Außer natürlich du schissest dir die Hosen voll oder schriest oder betetest oder gabst überhaupt was von dir zu der Hundert-Kanal-Panik, die Wortsalat um dich rumfetzte und manchmal sauber durch dich durch. Mag sein, du konntest den Krieg nicht im selben Moment lieben und hassen, aber manchmal wechselten sich diese Empfindungen so schnell ab, dass sie in einem Wirbel zusammentrudelten, der sich drehte, bis du buchstäblich High On War warst, wie es auf allen Helmbezügen stand. Von so ´nem Rausch runterzukommen, konnte dich wirklich fertigmachen.
Sebastian Junger, Autor des Buchs „The Perfect Storm“, hat über den Zeitraum eines Jahres eine Einheit von amerikanischen Soldaten im afghanischen Korengaltal begleitet. Diese berichten in seinem Buch „War“ von einer ähnlichen Erfahrung: „Jeder Kampf bringt einen solchen Adrenalinrausch“, sagte er, „und ich fürchte fast, dass ich dieses Adrenalin suchen werde, wenn ich nach Hause komme. Und wenn ich es nicht finde, fang ich zu trinken an und krieg Ärger. Die Leute zu Hause meinen, wir trinken wegen der schlimmen Sachen, aber das stimmt nicht … wir trinken, weil uns die guten Sachen fehlen.“
Eine überraschende und völlig neue Perspektive auf die Ursache des Phänomens „PTBS“, die Junger folgendermaßen beschreibt:
„Nur sehr wenige Menschen wollen es sich eingestehen. Krieg muss als schlecht gelten, denn im Krieg geschehen zweifellos schlechte Dinge, aber ein Neunzehnjähriger am Abzug eines .50-Kal.-Maschinengewehrs während eines Feuergefechts, das alle heil überstehen, erlebt den Krieg als einen so extremen Nervenkitzel, wie ihn sich niemand vorstellen kann. In mancher Hinsicht verschaffen zwanzig Minuten Kampfgeschehen mehr Lebensintensität, als man sie während eines Daseins zusammenkratzen kann, das mit anderem beschäftigt ist. Der Kampf ist nicht der Ort, an dem man stirbt – obwohl auch das geschieht -, sondern der Ort, an dem man herausfindet, ob es einem gegeben ist, weiterzuleben. Die Kraft dieser Offenbarung möge niemand unterschätzen. Und niemand unterschätze das, was junge Männer einsetzen, um das Spiel noch einmal mehr zu spielen.“
Und ähnlich den Soldaten, fällt es den meisten Kriegsreportern schwer, in ein bürgerliches Leben zurückzufinden, Michael Herr, der Mann der treffenden Metaphern, schrieb:
„Wir kamen zurück oder zogen weiter, blieben aber von New York oder San Francisco, von Paris oder London, Afrika oder dem Nahen Osten aus in Verbindung; einige landeten in Redaktionen in Chicago oder Hongkong oder Bangkok und vermissten mit der Zeit das Leben so schmerzlich (ein paar von uns), dass wir begriffen, was Amputierte durchmachen, wenn es sie in den Fingern oder Zehen der vor Monaten verlorenen Gliedmaßen juckt. Ein paar extreme Fälle hatten das Gefühl, das Erlebnis sei dort ruhmvoll gewesen, während die meisten von uns die Empfindung hatten, dass es bloß wunderschön gewesen sei. Ich glaube, Vietnam war etwas, das bei uns die Stelle einer glücklichen Kindheit einnahm.“
Der Preis für das Spiel mit dem Feuer oder für die Suche nach der Wahrheit ist hoch. Der Krieg, das Adrenalin, das Abenteuer hinterlassen Spuren. Nur wenige kommen unbeschadet aus diesem Beruf und den Kriegen heraus.
Janine Di Giovannis Ehe mit dem France 2-Kameramann Bruno Girodon hielt den Belastungen nicht stand. Di Giovanni zog sich nach der Geburt des gemeinsamen Sohns für eine Zeit aus dem Beruf zurück. Ihr Mann wurde die Alpträume und Dämonen (oder den Mangel an Adrenalin?) nicht los, wurde depressiv und alkoholkrank. Bei einem Auftrag während des Aufstands in Libyen gegen Gaddafi erlitt er eine Schusswunde im Gesicht.
Anna Politkowskaja wurde am 7. Oktober 2006, Putins Geburtstag, in der Eingangshalle ihres Wohnhauses erschossen. Für diese Tat wurden im Mai 2014 fünf Männer, darunter drei Tschetschenen, verurteilt. Wer den Mordauftrag erteilt und bezahlt hat, ist noch immer unklar.
Sebastian Jungers Kollege Tim Hetherington, mit dem er für den Dokumentarfilm Restrepo recherchierte, wurde in Misrata getötet, als er über den Aufstand gegen Gaddafi berichtete. Junger selbst arbeitet an einem neuen Dokumentarfilm mit dem Titel „Korengal“.
Tim Page lebt heute in Australien und beschäftigt sich mit Naturfotografie.
Dana Stone und Sean Flynn wurden während einer Reportage über die Kämpfe in Kambodscha vermutlich von Roten Khmer verschleppt und sind seitdem verschollen.
Michael Herr schrieb gemeinsam mit Gustav Hasford das Drehbuch zu Stanley Kubricks Film „Full Metal Jacket“. Nach eigenen Angaben hat er mit dem Thema Vietnam abgeschlossen. In der Zeit danach scheint er nicht mehr besonders produktiv gewesen zu sein. Anscheinend war Vietnam wirklich die schönste Zeit in seinem Leben.
Egal nun, was die Motivation von James Foley und Steven Sotloff (und auch ihrer anderen Leidensgenossen) war, sie können sich nicht mehr über PTBS oder ein bedeutungsloses Zivilistenleben beschweren. Ich will gern glauben, dass Steven Sotloff und James Foley, der so verwegen mit der Zigarette in der einen und der aufgepflanzten Kamera in der anderen Hand in die Kamera blickt, ein ehrliches Interesse an den Menschen hatten. Dass sie den Ehrgeiz hatten, eine fremde Zivilisation ergründen und einen verwickelten Konflikt zu verstehen, über den kaum noch jemand berichtet.
Sie haben für ihr Interesse, ihre Neugier und ihre Hingabe an einen gefährlichen Beruf einen hohen Preis bezahlt. Sie sind nicht einfach gestorben, sondern wurden verschleppt, gefoltert und dann auf barbarische und unmenschliche Weise ermordet. Sie sind es, die ihr Leben riskieren, um zu berichten, was vor sich geht. Damit abends die Menschen ihre zweiminütigen Informationshäppchen und das Gefühl bekommen, Durchblick und Orientierung zu haben.
Dieser Bericht ist für diese tapferen Frauen und Männer geschrieben, die für das tägliche Informationsbedürfnis in Ausübung ihrer Arbeit getötet oder auf bestialische Weise ermordet wurden und all die anderen mutigen Kriegsreporter, die in diesem Text keinen Platz gefunden haben. Vor allem die Frauen, die oft das eine Quentchen mehr Empathie statt des Testosteron haben und daher mit etwas besserer Analyse von den Kriegen berichten: Oriana Fallaci, Anna Politkowskaja, Marie Colvin, Mika Yamamoto.
Update: Eine Grafik über die Identität und das Schicksal der IS-Geiseln findet sich hier. Eine Übersicht über weltweit im Einsatz vermisste und entführte Reporter und Journalisten ist hier.
(über tangentcode).
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