Tickende Zeitbomben

Mal wieder ein Artikel mit Crime Content. Der Artikel stammt aus der französischen Zeitung „Le Monde“. An sich wollte ich nicht mehr übersetzen, weil das doch schon sehr zeitraubend ist, besonders bei langen Artikeln.

Aber dieser Artikel hat mich noch eine ganze Weile lang nachdenklich zurückgelassen, so dass ich die Weihnachtsfeiertage genutzt habe, um ihn ins Deutsche zu übertragen.

Der Bericht über ein Terrorverfahren gegen Jugendliche, dich sich in Online-Foren über Anschlagspläne ausgetauscht haben, verdeutlicht ein wachsendes Unbehagen in der westlichen Jugend, die meiner Meinung nach ein Widerhall der zwischenmenschlichen Gewalt der Erwachsenen ist. Spüren die jungen Menschen den Stress und den Hass, der unter den Erwachsenen herrscht? Wittern sie das Herannahen des Weltkriegs, der sich am Horizont zusammenbraut? Was sagt die zunehmende Verrohung und Dehumanisierung über unsere Gesellschaft und das Zusammenleben aus?

Ein wichtiger Punkt, der aus dem Artikel hervorgeht und bisherige Berichte nur bestätigt, ist die tiefgreifende Verletzung, die Mobbing in der Schule hervorrufen kann. Die Hilflosigkeit und Demütigung führen bei manchen Kindern zu einem unkontrollierbaren Hass. Ich denke, das ist auch auf Deutschland übertragbar. In der jüngeren Vergangenheit gab es auch hierzulande aufsehenerregende Mordfälle, an denen strafunmündige Kinder, darunter auch auffällig oft Mädchen, beteiligt waren.

Für mich sind dies besorgniserregende Vorboten von Unheil und ein ungutes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaft.

Daneben gibt es ein, zumindest für mich, interessantes juristisches Problem: nämlich, ob man tatsächlich den Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung annehmen kann, deren Mitglieder sich niemals im wirklichen Leben getroffen haben, sondern nur in Chaträumen von Online-Foren kommuniziert haben. Vielleicht ist das ein französisches Spezifikum, vielleicht wäre das aber auch in Deutschland möglich, aber ich mache viel zu wenig (Jugend-) Strafrecht, um hier eine valide Aussage treffen zu können.

Hier ist die Übersetzung:

„Ich will Menschen töten“: wenn die dschihadistische und die Nazi-Ideologie den Hass und das Leiden von abgeglittenen Jugendlichen kapern.

Drei Männer und eine Frau im Alter von 16 bis 19 Jahren, die von dschihadistischer und ultrarechter Gewalt fasziniert waren, tauschten sich im Internet aus und planten Terroranschläge, um „Rache an der Menschheit“ zu nehmen. Die für Terrorverfahren mit einer Sonderzuständigkeit ausgestattete Staatsanwaltschaft PNAT (Parquet national anti-terroriste) hat sie wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.

Es sind abgedriftete, haltlose Jugendliche. Sie waren Opfer von Schulmobbing, sexuellen Missbrauchs oder ihres eigenen Verfolgungswahns. Sie haben sich isoliert, sich in ihr Zimmer verkrochen und sich mit dem Internet verbunden. Sie haben Online-„Freunde“ gefunden, ihre einzigen Freunde auf Foren für Schul-Amokläufen, Nazi-Ideologie oder Dschihadisten-Propaganda. Sie haben Enthauptungsvideos geteilt und Fotos von Amokläufen, die ihre Faszination für den Tod und Gewalt versinnbildlichten.

Sie wollten „Köpfe abschneiden“, „Menschen massakrieren“. Sie bezeichnen sich als Rassisten oder Dschihadisten, sie teilen einen unauslöschlichen Hass gegen die Menschheit, den nichts lindern kann gegen ihre Mobber, ihre Missbrauchstäter, Muslime, Juden, Schwarze, Frauen und andere.

Sie haben untereinander über Terroranschläge gesprochen. Sie haben phantasiert „Ungläubige“ oder „Neger“ zu töten. Sie haben Sprengsätze hergestellt und Bekennervideos gedreht in der Hoffnung, dass ihre Wut vor den Augen der Welt zerbirst, dass man von ihnen spricht, dass man sich nach ihrem Tod an ihr „Werk“ erinnert. Sie sind zwischen 16 und 19 Jahren alt. Es sind noch Kinder. Unglückliche und gefährliche Kinder.

Diese Ermittlungen der Antiterror-Justiz hatten, wie so oft, durch einen Hinweis begonnen, der ein unmittelbar bevorstehendes Anschlagsprojekt meldete. Doch beim Stürmen von Lounas Zimmer (alle Namen geändert), die gerade 18 Jahre alt geworden war, haben die Polizisten schnell verstanden, dass das klassische Antiterror-Handbuch in diesem Fall nicht ausreichen würde, um alle Nuancen dieses Falls zu erfassen.

Louna ist zwar von der Terrororganisation Islamischer Staat fasziniert, hat aber auch in großes Interesse am Nationalsozialismus. Im Internet unterhielt sie sich im Übrigen über Anschlagspläne mit drei Jungen, die nicht alle gemeinsame Überzeugungen teilen: einer von ihnen ist ein brillanter 17-jähriger franko-japanischer Schüler, der davon träumt nach Syrien zu gehen; die beiden anderen sind 16 und 19 Jahre alt, von Adolf Hitler fasziniert und planen ein Massaker in einem Gymnasium oder in einer Moschee.

Dieser Fall, ein Zusammentreffen von Ideologien, die a priori nichts gemein haben, hat über längere Zeit die Antiterror-Justiz in Verlegenheit gebracht. Wie kann man das Motiv von Beschuldigten qualifizieren, die sich zu einem Anschlagsprojekt zusammenschließen, die jedoch auf ideologischer Ebene gegensätzlicher nicht sein könnten?

Indem sie das Intime hinter dem Politischen, den Impuls hinter den Worten enthüllen, laden die Ermittlungen dazu ein, über die Art und Weise nachzudenken, wie radikale Ideologien, das psychische Chaos abgedrifteter Jugendlicher kapern.

Nach zwei Jahren dauernden Ermittlungen hat die Antiterror-Staatsanwaltschaft PNAT in ihrer Anklageschrift vom 2. Oktober 2023, die ‚Le Monde‘ einsehen konnte, beantragt, dass gegen diese vier Jugendlichen ein Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung („association de malfaiteurs terroriste“) eröffnet wird.

Blut auf meinem Gesicht

Als Ermittler des Inlandsgeheimdienstes DGSI (Direction générale de la sécurité intérieure) am 4. April 2021 nach einem Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes über einen geplanten Anschlag auf eine Kirche in die Familienwohnung von Louna in Béziers (Département Hérault) eindringen, gewahren sie eine verwahrloste und vermüllte Wohnung.

Im Zimmer der jungen Frau stoßen die Ermittler auf ein kleines Chemielabor mit zahlreichen Stoffen, um Sprengsätze herzustellen. Ein Messer liegt auf dem Nachttisch neben einem auf Hochglanzpapier gedruckten Foto des abgeschnittenen Kopfes des Geschichts- und Erdkundelehrers Samuel Paty.

Im Zimmer finden sie zudem zwei Fotos des Schulamoklaufs von Columbine, der im Jahr 1999 dreizehn Tote gefordert hatte und ausgedruckte Fotos von Dschihadisten.

Der bedeutendste Fund ist jedoch ein Spiralblock mit 57 vollständig beschrifteten Seiten, ein langer, handschriftlicher Alptraum, der mit dem Satz beginnt: „Ich werde euer Blut auf dem Gesicht haben“.

Das Heft enthält Anleitungen zum Bombenbau, Einzelheiten zum einem Anschlagsprojekt samt Grundriss einer Kirche in Béziers, das auch die Zeiten des Publikumsverkehrs erwähnt, einen Plan ihres ehemaligen Gymnasiums, einen anderen von ihrem Wohnhaus sowie eine Liste von jüdischen Einrichtungen. Louna schreibt: „Träume von einem Land des Dschihad, wo ich Menschen massakrieren kann.“

Im Verlauf der Seiten notiert die junge Frau die kleinsten Details ihrer mörderischen Pläne und ihre Faszination für das „Leiden“ anderer, ein Wort, das ihr Manuskript durchzieht und ein Echo ihres eigenen emotionalen Zustands zu sein scheint.

Ich habe gelernt einen Menschen zu enthaupten“, schreibt sie, „ihr müsst auch auf den Bauch legen und ich schneide eure Kehle ein, bis sie vom Körper getrennt ist, ich tue es langsam, um ein intensives, langsames, schmerzhaftes Leiden zu verursachen (…). Ich will Menschen aus reiner Freude töten (…). Waa, ich habe eine solche Lust zu töten, es ist echt voll krank, ich muss töten, verdammte Scheiße.“

Das junge Mädchen hat sich in ein unermessliches Unwohlsein verrannt: „Dieses Gefühl, wenn dich buchstäblich nichts glücklich macht (…) Ich hasse einfach die ganze Welt, ich weiß nicht mal, ob ich Hilfe brauche oder ich einfach alles tun sollte, was ich im Kopf habe, das menschliche Leben zählt verfickt nochmal nichts.“

Ihr Durst nach „Rache“ ist total, absolut, ohne fest definiertes Objekt: sie verabscheut ihre Nachbarn, Juden, Homosexuelle, Schwarze, Armenier, Behinderte, Christen, Inder, schließt nicht aus, Muslime zu töten und träumt von einem Paradis, wo nur noch „Weißhäute“ leben: „Ich kann diese Neger nicht ausstehen.“

Enthauptungen finde ich am besten

Dieser vollständige Hass und ihre obsessive Leidenschaft für Enthauptungen haben sie natürlicherweise dazu gebracht, sich für den Islamischen Staat und seine ultrabrutale Propaganda zu interessieren. In ihrem Telefon wurden 137 dschihadistische Videos gefunden, darunter die abstoßendsten, wie das von der Hinrichtung eines jordanischen Piloten, der bei lebendigem Leib von der Terrorgruppe in einem Käfig verbrannt worden war oder dieses Lernvideo, das von dem französischen Dschihadisten Youcef Diabi gedreht worden war und wo dieser an einem lebenden, gefesselten Gefangenen verschiedene Arten einen Menschen mit dem Messer zu töten vorführt.

Auf Telegram hat Louna die Bekanntschaft eines anderen jungen Radikalisierten gemacht, Takeshi, ein 17-jähriger franko-japanischer Student. Sie will sich ein Sturmgewehr besorgen, er würde sie gerne heiraten, bevor er nach Syrien geht. Das Profil der beiden Jugendlichen ist jedoch diametral entgegengesetzt: Takeshi lebt in einem schicken Viertel von Paris, Louna in einer Bruchbude in Béziers; er ist hochbegabt, hat zwei Klassen übersprungen und hat eine Vorbereitungsklasse [für die Grandes Écoles, AdÜ] an einer der besten Schulen der Hauptstadt besucht, sie hat die Schule seit zwei Jahren aufgegeben. Doch auch er ist einsam, introvertiert und war Opfer von Schulmobbing.

Um ein Abgleiten in die Depression zu verhindern, konvertierte Takeshi mit 14 Jahren zum Islam. Von nun an träumt er davon, sich einer dschihadistischen Gruppierung anzuschließen, die in der Region von Idlib in Syrien von Omar Omsen, einem Franzosen senegalesischer Abstammung aus Nizza gegründet worden war, um dort im Krieg „auf eine Weise zu sterben, die mit seiner Religion kompatibel“ ist, zu sterben.

Louna will lieber in Frankreich töten und sterben.

– „Glaubst du, eine Frau kann das machen? Frankreich angreifen?“, fragt sie ihn.

– „Wenn das für dich bedeutet, Zivilisten zu töten, dann bringt es nichts und ich schwöre bei Allah, dem sehr Erhabenen, dass es eine enorme Sünde ist“, versucht Takeshi sie davon abzubringen, der sie lieber heiraten würde.

– „Wärst du imstande, jemanden zu töten?“

– „Natürlich, aber es kommt darauf an, wen. Wenn es ein Soldat Assads ist, dann mach ich ihn ohne Probleme kalt.“

– „Durch Enthauptung. Enthauptungen finde ich am besten“, jubelt Louna.

– „Du bist echt ein bisschen abgedreht“, wundert sich der Junge. „Oft bevorzugen Mädchen etwas Milderes“.

– „Nein, die Person soll einfach so dermaßen leiden. Und lebendig verbrennen. Ich hab das Video gesehen“.

– „Ich sehe mir solche Videos nicht gerne an. Ich bevorzuge Al-Qaida. Das ist doch schöner mit den Flugzeugen“, wiegelt der Jugendliche ab.

Wurde ich vergewaltigt?

Trotz seines Versprechens auf Gewalt scheint der Dschihad nicht in der Lage zu sein, all den Zorn zu absorbieren, der Louna überwältigt hat. Ihr inneres Chaos treibt sie auch zu einer anderen Ideologie: dem Nationalsozialismus.

In ihr Heft hat sie einen Dschihadisten und einen Nazi-Soldaten neben einem enthaupteten Kopf gezeichnet oder ein Hakenkreuz mit folgenden Inschriften „Frankreich den Franzosen“, „Antifa = eine Kugel“, „Neger raus“. Sie versucht sich bereitwillig an der deutschen Sprache („Arbeit macht frei“), bis dahin, dass sie ihre Vorliebe für Enthauptungen in die Sprache Goethes übersetzt. „Sie schwankt zwischen einer Faszination für den Islamischen Staat und für den Nationalsozialismus“, resümieren etwas desorientiert die Ermittler.

Sie wurde mit drei Schwestern und einem jüngeren Bruder von einer atheistischen, arbeitslosten, aus Marokko stammenden Mutter aufgezogen, die sich von dem alkoholsüchtigen uns sehr kranken Vater hatte scheiden lassen. Louna ist in einer Familie aufgewachsen, in der eine „sehr große soziale und intellektuelle Prekarität“ vorherrschten. Wie ihr jüngerer Bruder und eine Schwester wurde sie in einem Kinderheim untergebracht, aus dem sie fortgelaufen ist. Seit zwei Jahren von der Schule abgemeldet, „selbstmordgefährdet“ und „einsam“, verbringt sie die Tage in diesem Zimmer, dessen Türklinke sie mitnimmt, wenn sie ausgeht, so dass keiner ihrer Familienmitglieder realisiert hatte, dass sich das Zimmer in eine dem Verbrechen geweihte Kapelle verwandelt hatte.

Während ihres Polizeigewahrsams kommt bruchstückhaft ein wenig Aufklärung bezüglich der Gründe für ihr Abgleiten an Licht. Sie erwähnt namentlich sexuelle Missbrauchstaten, die zwei Jahre zuvor an ihr durch einen Nachbarn im selben Stockwerk begangen worden seien, wonach sie im Anschluss daran begonnen habe, Gore-Videos anzuschauen.

Eine Begebenheit, die an den Plan ihres Wohnhauses gemahnt, den man in ihrem Heft gefunden hatte und die Tatsache, dass sie „Nachbarn“ als Ziele ihrer potenziellen Tatbegehung genannt hatte.

Eine der Abfragen, die sie im Internet getätigt hatte, lautete: „Wurde ich vergewaltigt?“. Zwei andere Aufrufe ähnelten Hilferufen: „Einem Kind oder Jugendlichen helfen, das sich selbst verletzt“ und „Täter von Schulamokläufen, Warnsignale“.

Nicht praktizierende“ Muslimin, wie sie gegenüber den Ermittlern klarstellt, erklärt Louna, dass sie sich dem Dschihadismus und dem Nationalsozialismus angenähert habe, um ihre makabren Obsessionen in einer Art kathartischer Gegen-Gewalt zu befriedigen. „Ich habe mich ausschließlich mit diesen beiden Ideologien befasst, um meine Faszination für den gewaltsamen Tod zu rechtfertigen. Ich glaubte ernsthaft weder an die eine noch an die andere.“

Im Verlauf ihrer Verirrungen hat sie sich im Übrigen an Diskussionsgruppen beteiligt, die nichts wirklich Politisches mehr hatten: es ging um Serienmörder und Schulamokläufe. Auf diese Weise hat sie die beiden anderen Mitbeschuldigten kennengelernt: Raphaël und Ugo.

Raphaël und die Schulschießereien

Es war während des Lockdowns in der ersten Covid-19 Epidemie im Frühjahr 2020 als die die Jugendlichen ihre unendliche Einsamkeit gebrochen haben, indem sie auf Foren mit anderen Jugendlichen diskutierten, die genauso verloren waren wie sie. Sie sind sich auf True Crime Community begegnet, einer Internetgemeinde, die von Kapitalverbrechern und Schulmassakern fasziniert ist.

Der jüngste des Trios, Raphaël, 16 Jahre, lebt in einer kleinen Gemeinde im Département Haut-Rhin. Er ist ein Schulversager, sozial isoliert und fühlt sich unwohl in seiner Haut. Die meiste Zeit spielt er Ballerspiele in seinem Zimmer. Auf True Crime Community hat er endlich Jugendliche kennengelernt, die ihm gleichen und hat eine Leidenschaft für „Kannibalen und Mörder“ entwickelt, die seiner Wut eine Gestalt geben. Seine eigene Mutter bezeichnet ihn als „Zeitbombe“, selbst wenn sie ihn für zu introvertiert hält, um anderen Gewalt anzutun.

Er hat den Ermittlern von dem narzisstischen Gewinn erzählt, den er aus dem geteilten Verlangen für Gewalt gezogen hat: „Es ist ein Weg, der sich mir eröffnet hat, nachdem ich einmal dieser Gruppe beigetreten bin (…) Ich mag diese Gewalt“, hat er erläutert und erklärt, dass er sich „wie Gott“ fühle, wenn er in diesem Milieu verweilte. „In all diesen Jahren wurde ich geärgert und gedemütigt“, schreibt er in einer Notiz, die in seinem Telefon gefunden wurde. „Ich werde mich an der Menschheit und an euch allen rächen (…) Ihr habt mich eines glücklichen Lebens beraubt. Zum Ausgleich werde ich euch …eures Lebens berauben.“

Sein Irrweg bringt ihn wie Louna dazu einer Diskussionsgruppe auf Telegram beizutreten, Atomwaffen Command, ein Ableger der amerikanischen Neonazi-Gruppierung Atomwaffen Division, die den Akzelerationismus predigt, eine Theorie, die darauf abzielt die Gesellschaft in einen Rassenkrieg zu stürzen, damit aus ihr ein weißer Ethno-Staat auferstehe. Von ihrem Enthusiasmus mitgerissen hatte Louna es sogar fertiggebracht, einzelne Mitglieder zu schocken, indem sie ein Foto des enthaupteten Kopfes von Samuel Paty postete, ihr Lieblingsbild: wie es häufig vorkommt, wenn ein Individuum in einer Gruppe radikalisierter Jugendlicher aus dem Rahmen fällt, hatten sie sie verdächtigt ein Mossad-Agent zu sein.

Im Verlauf ihrer Diskussionen vertraut Louna Raphaël an, dass ein Nachbar sie „berührt“ habe, er erzählt ihr, dass er Opfer von Schulmobbing geworden war.

Sie bekennt sich um Islamischen Staat, er zum Neonazismus, beide stimmen in ihrem Hass auf Juden überein, teile ultragewalttätige Videos und sprechen über ihren Wunsch nach „Rache“. Sie erzählt ihm von ihren Attentatsplänen, er öffnet sich ihr über sein geplantes Schulmassaker, das er mit Ugo begehen wolle, ebenfalls Mitglied von Atomwaffen Command.

Das Attentat, in dem die beiden Jugendlichen sterben wollen, ist für den 20. April 2022 geplant, Jahrestag des Columbine-Amoklaufs und Geburtstag Adolf Hitlers.

Ugo, der „Psychopath“

Ugo, ein Normanne von 19 Jahren, bezeichnet sich selbst als „Psychopathen“. Er hat auch mit Louna, die ihm Anleitungen zum Bombenbau geschickt hat, über seine mörderischen Pläne gesprochen.

Trotz ihrer politischen Gegensätze verhehlt der junge Mann nicht eine gewisse Zuneigung für den Kamikaze-Neuling. „Sie wollte, dass ich Dschihadist werde. Ich hatte Empathie für sie. Sie ist wie Raphaël und ich, mit wenig Freunden und Opfer von Mobbing“, hat er im Polizeigewahrsam erklärt. „Sie zögerte beim Nationalsozialismus, aber sie war mehr vom Islamischen Staat angezogen.“

Ugo selbst ist kein Dschihadist. In seinem Zimmer haben die Ermittler siebzehn Messer mit Nazi-Inschriften gefunden, Bücher über den amerikanischen Mörder Charles Manson und Adolf Hitler. Seit der Grundschule an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche leidend, erklärt er, Opfer von Schulmobbing gewesen zu sein und sich in der 5. Klasse „radikalisiert“ zu haben, beginnend mit dem radikalen Islam, bevor er zum Nationalsozialismus kam. Hitler habe ihm „die Augen geöffnet“ und ihm „die Hand gereicht“ als er psychisch unterging. Laut ehemaliger Klassenkameraden hatte Ugo Probleme in der Schule vor allem deswegen gehabt, weil er dort Telegramm Reden gehalten habe.

Wie Louna hat auch Ugo seine dunklen Gedanken schriftlich niedergelegt. Er hat nicht weniger als zwanzig Hefte mit seinen morbiden Delirien gefüllt. Dort beschreibt er seine selbstmörderischen Gedanken und einen sexuellen Missbrauch, den er im Alter von neun Jahren durch einen gleichaltrigen Jungen erlitten habe. In einem seiner Hefte mit dem Titel „Mein Kampf III“ gibt er an, Stimmen zu hören, die ihm zu töten befehlen: „Ich habe verschiedene Personen in meinem Kopf: einen Gläubigen, einen Killer (ich als Nazi), einen Verrückten, ein unreifes Kind.“

Der psychiatrische Sachverständige, der ihn exploriert hat, beschreibt sein „konstantes Gefühl der Frustration und Unterlegenheit“, eine „Störung aus dem paranoiden Formenkreis“, die der Herabsetzung seiner Einsichtsfähigkeit zugrundeliegt und hält eine Anordnung von psychiatrischer Versorgung für „unabdingbar“.

Der junge Mann ist im Übrigen relativ klarsichtig über den hybriden Charakter seines Zorns: „Es ist persönlich aber auch politisch“, schreibt er in ein Heft. „Ich töte für den Nazismus und aus Rache“.

Wir werden auf Google sein

In Raphaël habe er einen „Waffenbruder“ gefunden, erklärt Ugo, „ein Wort, das stärker ist als ‚Freund‘“, präzisiert er gegenüber den Ermittlern. Abgesehen von ihrer Leidenschaft für Waffen, teilen die beiden Jugendlichen eine emotionale Frustration, die sie dazu gebracht hat, sich einer anderen radikalen Bewegung anzunähern, der Subkultur der Incels (involuntary celibate), die einen tiefsitzenden Frauenhass propagiert. Doch Ugo und Raphaël haben vor allem ein gemeinsames Projekt, das ihren Zorn materialisieren soll und das sie ihr „Werk“ nennen: ein Schulmassaker. Ugo schreibt an seinen jungen Freund: „Ich habe mindestens zehn Personen in meinem Gymnasium zu töten und dann greife ich eine Moschee an“. Von ihren eigenen Phantasien mitgerissen hoffen die beiden Jungen, in der Nachwelt fortzuleben: „Wir werden auf Google sein, auf der ersten Seite der Zeitungen, genial“, schreibt Raphaël. „Unsere Gesichter im Internet und in Dokumentarfilmen“, antwortet Ugo. „Wir sind Götter des Chaos und der Rache“.

Dieses Gefühl der Allmacht setzt Ugo oft in Szene. Im Verlauf von fünf Monaten hat er Raphaël nicht weniger als dreizehn Bekennervideos ihres kommenden „Werkes“ geschickt, in denen er mit verschiedenen Waffen posiert.

Ich werde viele Personen töten (…) Seit Jahren sind Schüler Opfer von Mobbing (…) Wann wird der Staat etwas dagegen unternehmen? (…) Dem Gesindel in seinen Vorstädten, dem gibt man Sozialhilfe, sie vergewaltigen Frauen, sie mobben Kinder in den Schulen (…) Ich werde da aufräumen! (…) Es gab da welche, die mich in der Schule gemobbt haben, die werden die Fresse vollkriegen! Ich werde ihnen den Schädel mit einem Hammer zerschmettern und ihren die Kehle aufschlitzen“. Vor den Ermittlern gibt er zu: „Wenn ich ein Video machte, wollte ich mir selbst Angst einjagen. Ich wusste nicht, ob es real war.“

Ein „verwurzeltes Bekenntnis zu radikalen Ideologien“.

Waren diese vier abgeglittenen Jugendlichen von einem Wunsch nach Rache angetrieben oder von ihren ideologischen Überzeugungen? Ist Louna Dschihadistin oder Nazi? Phantasierten Ugo und Raphaël ein Schulmassaker, das von ihrem Gefühl der Zurückweisung motiviert war oder ein rassistisches (suprematistisches) Attentat?

Der PNAT hat erachtet, dass ihr Profil und ihre Handlungen ausreichend besorgniserregend seien, um die Annahme der Bildung einer terroristischen Vereinigung zu rechtfertigen.

Wenn die die Beweggründe dieser terroristischen Projekte Unwohlsein und Selbstmordgedanken vereinten, legten die Beschuldigten dennoch eine erstaunliche Entschlossenheit an den Tag, ebenso wie intensive Vorbereitungen ihrer gewalttätigen Pläne und stellten sich die Resonanz ihrer zukünftigen Aktionen im Rahmen eines verwurzelten Bekenntnisses zu radikalen, dschihadistischen und ultrarechten Ideologien vor“, fassen die Staatsanwälte zusammen.

Sie beantragen daher, dass Takeshi, Raphaël und Louna, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren, vor eine Jugendkammer gestellt werden. Wenn die Ermittlungsrichter die Anklage zulassen, könnte Louna erneut vor Gericht stehen, diesmal mit Ugo für Taten, die sie zwischen ihrem 18. Geburtstag und ihrer Verhaftung, einen Monat später, begangen hat.

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