Erleichterung im Totenwald

Abseits der Aufmerksamkeit einer breiteren Berichterstattung stehen zwei der mysteriösesten und spektakulärsten Mordfälle der jüngeren deutschen Vergangenheit anscheinend vor der Aufklärung.

Nicht einmal die BILD-Zeitung, die sonst beim geringsten Sensationspotential eine Eilmeldung herausschickt, ist auf dieses Thema angesprungen. Nur SPON hat eine kleine Meldung abgesetzt, der Hauptanteil fiel an die Lokalpresse.

Die interessanteste und gründlichste Rekapitulation des Themas hat unvermuterweise die ZEIT  in einer sehr ausführlichen, mehrteiligen Reportage vollbracht (Links weiter unten)

Die Göhrde-Morde haben in dem sehr heißen Sommer 1989 nicht nur die Gegend um Lüneburg in Atem gehalten. Ganz Deutschland gruselte sich bei den grauenhaften Details.

Innerhalb von wenigen Wochen waren zwei Paare in der Göhrde, einem Staatsforst im Landkreis Lüchow-Dannenberg, damals im Zonenrandgebiet zur kurz darauf kollabierten DDR gelegen, Opfer brutaler Gewaltverbrechen geworden.

Am 21. Mai 1989 war das Ehepaar Reinold aus Hamburg in die Göhrde aufgebrochen, um im Wald zu picknicken und „sich zu sonnen“. Ihre stark skelettierten und durch die Hitze mumifizieren Leichen wurden erst acht Wochen später am 12. Juli 1989 in einer Senke von Reisig bedeckt von Beerensammlern entdeckt.

Auf dem Weg zum Revierförster, dem sie den Leichenfund melden wollen, begegneten sie einem kräftigen, braunhaarigen Mann, der einen Beutel in der Hand trug. Die Polizei war sich zum damaligen Zeitpunkt absolut sich, dass es sich dabei um den Mörder handeln musste, der sich im Umkreis des Tatorts aufhielt.

Denn: Am selben Tag treibt der Mörder die Dreistigkeit so weit auf die Spitze, dass er nur wenige hundert Meter von dem Ort entfernt, an dem die Spurensicherung und die Tatortermittler die Leichen des Ehepaars Reinold untersuchen, ein weiteres Paar ermordet. Dies kann aus dem Tagesablauf der beiden Opfer später rekonstruiert werden.

Es handelt sich bei den Opfern um Ingrid Warmbier und Bernd-Michael Köpping, ein Liebespaar, das jeweils anderweitig verheiratet ist, und sich in der Göhrde getroffen hat, um „spazieren zu gehen“.

Die entkleideten Leichen von Warmbier und Köpping, die Spuren von Strangulationen, stumpfer Gewalt und Schüssen aufweisen, werden zwei Wochen später zufällig gefunden, als die Ermittler nochmals den Tatort des ersten Doppelmordes inspizieren. Die Frau wurde außerdem noch an de Brüsten verstümmelt.

Der Täter nahm jeweils Gegenstände der Opfer an sich. Er entwendete auch die Fahrzeuge, die er teils mehrere Tage benutzte, ehe er sie an verschiedenen Orten aufgab.

Diese Morde sorgten für ein Grausen in der umliegenden Bevölkerung, die den „Totenwald“ jahrelang später noch mied.

Die wesentlichen Details des Falls bei Wikipedia, einem Spiegel-Artikel von 1996 und einer Sendung von Aktenzeichen XY. (Mit dem Abstand von fast dreißig Jahren entfaltet sich erst die volle Biederkeit und zugleich Creepyness dieser Sendung).

Die Auflösung der Mordfälle kam über einen Umweg. Am 15. August 1989 verschwand die von ihrem Ehemann in Trennung lebende Unternehmergattin Birgit Meier spurlos.

In Verdacht geriet zunächst ihr Ehemann. Erst 1993 wird ein Ermittlungsverfahren gegen einen in der Nachbarschaft lebenden Friedhofsgärtner eingeleitet. Dieser Mann, Kurt-Werner Wichmann, war mit der Unternehmergattin durch Gartenpartys aus der Nachbarschaft bekannt.

Auf Fotos sieht man einen recht gutaussehenden Mann mit vollem blondem Haar und einem Gesicht, das man nach landläufigen Kriterien als hübsch bezeichnen könnte, wären da nicht die unangenehmen und bösartigen Augen.

Auf ihn hatten bereits 1989 erste Hinweise gedeutet. Bei der Durchsuchung seines Hauses im Frühjahr 1993 findet man erstaunliche Dinge. Im Obergeschoss des Hauses, das er nach dem Tod seines Vaters geerbt hatte, befindet sich hinter einer schallisolierten Tür ein nur ihm zugänglicher Raum, deren Zutritt er anderen Personen, mit Ausnahme seines Bruders, verwehrte. In geheimen Hohlräumen in den Wänden kommen zwei Kleinkalibergewehre, Schalldämpfer, Fesselungswerkzeuge und starke Beruhigungsmittel zum Vorschein.

Im Keller schlägt neben einer frisch eingezogenen Rigipswand ein Leichenspürhund an. Birgit Meier bleibt indes verschwunden. Bei einer weiteren Durchsuchung des Gartens wenig später wird ein vollständig vergrabener Ford Probe Sportwagen freigelegt, auf dessen Rücksitzen sich blutverdächtige Anhaftungen befinden.

Nach der Durchsuchung verlässt Wichmann fluchtartig die Gegend. In Süddeutschland wird er in einen Autounfall verwickelt und festgenommen. Auch bei dieser Gelegenheit findet man Waffenteile in seinem Wagen. In der Untersuchungshaft nimmt er sich im April 1993 das Leben, indem er sich in der Zelle mit seinem Gürtel stranguliert.

Bis zum September 2017 bleibt die Leiche Birgit Meiers unauffindbar. Doch ihrem Bruder, Wolfgang Sielaff, damals Hamburger LKA-Chef und später Vize-Polizeipräsident, lässt das Verschwinden seiner Schwester keine Ruhe. Auch nach seiner Pensionierung trägt er mit anderen Ermittlern, Experten wie dem Rechtsmediziner Klaus Püschel und dem Anwalt Gerhard Strate weitere Indizien zusammen, um seine Schwester zu finden.

Auf einer bei Wichmann sichergestellten und glücklicherweise noch asservierten Handschelle findet sich schließlich ein Blutstropfen, der Birgit Meier eindeutig zugeordnet werden kann. Sielaff erreicht von den neuen Eigentümern des Hauses die Zustimmung zu einer erneuten Durchsuchung.

Eine Werkstattgrube in der Garage erregt die Aufmerksamkeit des Teams, weil sie nur 90 cm tief ist. Die Bodenplatte ist heller als der umliegende Beton. Sie wurde erst nachträglich eingebaut.

Die Grube wird aufgestemmt. Nach 28 Jahren taucht der Leichnam Birgit Meiers auf. Wichmann hat sie kopfüber und senkrecht in der Grube versenkt und sie dann zubetoniert. Über ihrem Kopf war eine Plastiktüte, um ihren Hals ein Strick.

Dass sie letztendlich gefunden wurde, lag einzig und allein an der Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit ihres Bruders Wolfgang Sielaff. Ohne seine Kontakte, seinen Status und sein Standing bei der Polizei wäre die Leiche vermutlich nie gefunden worden.  Bei dem teilweise dilettantischen Ablauf der Ermittlungen kann man bezüglich der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit ziemlich nachdenklich werden.

Durch eine erneute Überprüfung der Asservate konnten auch die Göhrde-Morde mit Kurt-Werner Wichmann in Verbindung gebracht werden. Laut NDR handelt es sich aber nicht um die bereits länger bekannten zwei wurzellosen Haare aus einem der Opferfahrzeuge, sondern um eine andere DNA-Spur.

Auffällig sei auch, dass eine Serie von ungeklärten Morden in Niedersachsen in einem Radius von 80 km um Lüneburg herum, bei der Frauen in Wäldern brutal – gewöhnlich durch Messereinwirkung – umgebracht wurden, nach Wichmanns Suizid abriss.

Die ganze Geschichte in der Zeit hier, hier, hier, hier und hier.

Update Mai 2019: Die „Ermittlungsgruppe Göhrde“ der Polizeidirektion Lüneburg bittet um Identifikation von Asservaten, die von Wichmann auf seinem Grundstück vergraben worden waren. Es handelt sich um Kleidungsstücke, Schmuck, Werkzeuge und allerhand andere kuriose Gegenstände.

Hier eine interessante Dokumentation vom NDR:

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